Hamburg. Im Altarraum der Bugenhagengemeinde steht eine neue Wand. Sie ist rot, die Kirchenwände weiß. Die Wand fällt auf. Davor liegen Stifte und Papier, um Gedanken aufzuschreiben. Die Bugenhagen-gmeinde in Altnettlenburg hat in der Passionszeit eine Klagemauer aufgestellt. „Es geht in der Passionszeit um die Nöte, für die Jesus sein Leben eingesetzt hat“, sagt Pastor Hartmut Sölter. Daher wollte er für seine Gemeinde und Kirchenbesucher einen Ort einrichten, an dem sie sich mit dem auseinandersetzen können, was sie bedrückt.
Vorbild ist die Klagemauer in Jerusalem, in die Juden und Besucher anderer Religionen kleine Zettel mit ihren Gebeten stecken. Die Idee für eine eigene Klagemauer hat Sölter jedoch nicht aus Jerusalem mitgebracht, sondern aus Hannoversch Münden. Dort, im südniedersächsichen Kloster Bursfelde, verbrachte der Pastor vor rund zwei Jahren eine Auszeit und entdeckte in der Klosteranlage einen Raum mit einer Klagemauer. Zurück in seiner Gemeinde beschrieb er dem Arbeitskreis offene Kirche die Mauer – und der baute sie aus Styropor und einer Mauertapete nach. Seit dem Beginn der Passionszeit steht sie nun im Altarraum.
Zeit für Gespräche
Die Kirche im Osten Hamburgs ist – außer in den Ferien – täglich geöffnet. Drinnen brennt eine Kerze, Besucher können sich auf die Bank setzen, die Kirchenbilder betrachten und beten oder direkt ihr Anliegen aufschreiben und es öffentlich oder verdeckt an die Klagemauer pinnen. „Ich glaube, dass man dann zumindest etwas losgeworden ist“, sagt Sölter. Er selbst sitzt jeden Donnerstag von 17 bis 18 Uhr in der offenen Kirche und hat Zeit für Gespräche.
Als Pastor kennt er die Sorgen vieler Mensch: Ältere, denen die Pflege ihres Partners über den Kopf wächst, Mütter oder Väter, die sich ständig mit ihren Kindern streiten. Und blickt man über die Familien hinaus, wird es nur schlimmer: Kriegsherde in aller Welt, Skandale, Klimakatastrophe.
„Es gibt einen Unterschied zwischen Klagen und Jammern“, sagt Sölter. Beim Jammern bleibe der Mensch bei sich selbst oder bei anderen und erwarte keine Antwort. „Beim Klagen wendet man sich an Gott, auch wenn man ihn nicht versteht.“ Man will „das Glaubensband nicht abreißen lassen“, sagt Sölter. „Klagen hat eine Adresse.“