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Ein Zeichen, das bis ins Bierzelt dringen soll

Die niederbayerische Stadt Abensberg hat knapp 15.000 Einwohner, bei der Landtagswahl gab jeder achte Wähler seine Zweitstimme der AfD. Auf dem Gillamoos, dem ältesten Jahrmarkt in Bayern, treten traditionell führende Vertreter der politischen Parteien auf. Die Organisatoren nennen den Frühschoppen den „größten Stammtisch der Republik“. Auch die AfD gastiert wieder in der Kleinstadt, entsendet Spitzenvertreter in den Schlossgarten. Vor den Mauern zeigen zahlreiche Abensberger Gesicht gegen die politische Verrohung – und für Menschlichkeit und Toleranz.

Frühjahr 2024: Die Enthüllungen des Medienhauses „Correctiv“ über das Geheimtreffen von AfD-Politikern, Rechtsextremisten und Unternehmern bewegen das Land: Bei dem Potsdamer Treffen wurde den Recherchen zufolge ein Plan für Massenabschiebungen ausgebreitet. Viele gehen in den Folgewochen gegen rechtsextremistisches Gedankengut auf die Straße. Auch im niederbayerischen Abensberg keimt der Gedanke, ein Zeichen zu setzen.

Eine Gruppe Engagierter rund um Meada Mounajed-Ries und Camilla Högl eröffnet ein temporäres Fotostudio, wo sich Abensberger Bürger ablichten lassen können. „Einer antidemokratischen Haltung dürfen wir den Raum nicht unwidersprochen überlassen“, sagt der Fotograf und Grafiker Anton Mirwald, der ebenfalls Teil der Bürgerinitiative ist. Viele äußern sich zu den Beweggründen, sich öffentlich zu Menschlichkeit und Toleranz zu bekennen: Dass das feindselige politische Klima bedauerlich sei. Wie wertvoll der Zusammenhalt, wie wichtig, die Demokratie zu verteidigen – gerade in Deutschland.

473 Menschen zeigen nun buchstäblich Gesicht: Die Porträts in Schwarz-Weiß werden am 2. September den Weg zum Festgelände flankieren, wo die Parteioberen zu ihren Reden im Schlossgarten aufmarschieren. Dieses Jahr stehen der österreichische Rechtspopulist Gerald Grosz und der bayerische AfD-Landesvorsitzende Stephan Protschka auf der Rednerliste. Beide mussten sich gerichtlich verantworten, weil sie den bayerischen Ministerpräsidenten beim politischen Aschermittwoch im niederbayerischen Osterhofen 2023 „Landesverräter“ und „Södolf“ genannt hatten.

Der ehemalige FPÖ-Politiker Grosz verteidigte seine Äußerung, wie der „Spiegel“ berichtete, vor Gericht vergeblich als Satire – in erster Instanz wurde er zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen verurteilt, knapp 15.000 Euro. Das Verfahren gegen Protschka wurde eingestellt, als er die Zahlung von 12.000 Euro im Rahmen eines Strafbefehls akzeptierte.

„Das Bundesverfassungsgericht hat oft betont, wie wichtig die Meinungsfreiheit für unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung ist, gerade auch im politischen Diskurs“, sagt Stephan Christoph, Juniorprofessor für Strafrecht und Kriminologie an der Universität Regensburg. „Das bedeutet aber nicht, dass es einen Freifahrtschein für Beschimpfungen gibt.“ Rote Linien seien bei Schmähungen fernab von Sachbezügen überschritten, dort, wo wissentlich rufschädigende Lügen verbreitet würden, und „wo die Äußerung die Menschenwürde des Betroffenen verletzt“.

Vielfach müssten Gerichte bei der komplexen Abwägung der Meinungsfreiheit gegen den Ehrschutz Einzelfallentscheidungen treffen. „Im politischen Meinungs- und Wahlkampf wird das Pendel häufig in Richtung Meinungsfreiheit ausschlagen“, sagt Christoph. Die Abensberger Bürger stellen sich selbst gegen die grassierende Feindseligkeit im politischen Betrieb. Auch nach dem Gillamoos sind die Porträts und die Statements hinter den 473 Gesichtern für mehr Menschlichkeit noch zu sehen – bis 15. September am Gillamoos und im Abensberger Stadtmuseum. (00/2543/28.08.2024)