Artikel teilen:

Dokudrama über ein unbekanntes Kapitel der Judenverfolgung

Etwa 7.000 Juden tauchten während des Nationalsozialismus in Berlin unter, nur 1.500 von ihnen überlebten. Ein beeindruckender Film erzählt ihre Geschichte – in einer Mischung aus Zeitzeugeninterviews und Spielszenen.

In Zusammenarbeit mit filmdienst.de und der Katholischen Filmkommission gibt die KNA Tipps zu besonderen TV-Filmen:

7.000 jüdische Bewohner Berlins widersetzten sich 1943 der Deportation, indem sie in der Stadt untertauchten. Vier Überlebende erinnern sich an ihre dramatischen Erlebnisse als Jugendliche und erweisen sich dabei als begnadete Erzähler.

Die Zeitzeugen-Interviews verknüpft der Film von Claus Räfle von 2016 dramaturgisch mit spannenden Spielszenen (unter anderem mit Max Mauff, Alice Dwyer und Ruby O. Fee), wodurch die Ängste und der Schrecken ebenso spürbar werden wie Unternehmensgeist, Hoffnungen und den überraschende Rückhalt in der Bevölkerung Berlins.

Ein intensiver dokumentarischer Spielfilm, der nachdrücklich an den Mut zum Widerstand gegen Unrecht und Verfolgung appelliert.

“Ich kann nicht einmal sagen, ob ich in dem Moment große Angst hatte oder nicht. Ich hatte einfach einen Lebenswillen!”, sagt die über 90-jährige Hanni Levy. Im Februar 1943 tauchte sie mitten in Berlin unter, um der Deportation in ein Lager zu entgehen. Über zwei Jahre harrte sie in der ständigen Furcht aus, entdeckt zu werden; blondierte sich die Haare, um “arisch” auszusehen, fand wechselnden nächtlichen Unterschlupf bei Bekannten und harrte tagsüber in dunklen Lichtspielhäusern aus. Und auch wenn Levy nichts davon ahnte: Sie war eine von 7.000 Juden, die damals heimlich in Berlin lebten. Und die damit auch die Nazi-Propaganda, die die Hauptstadt des Deutschen Reiches im Juni 1943 für “judenfrei” erklärt hatte, konterkarierten.

Das Dokudrama “Die Unsichtbaren – Wir wollen leben” erzählt anhand von vier Schicksalen die Geschichte dieser mutigen Menschen: Cioma Schönhaus, Ruth Arndt, Eugen Friede und Hanni Levy. Der 2016 gedrehte Film hat ihnen wie ihren Unterstützern damit ein würdiges Denkmal gesetzt. Die meisten der Protagonisten sind inzwischen verstorben. Im Film aber kann man die betagten und geistig erstaunlich fitten Zeitzeugen noch erleben: In Interviews erzählen sie die Geschichte ihrer Flucht; das verknüpft Regisseur Claus Räfle mit Spielszenen, in denen die Schauspieler Max Mauff, Alice Dwyer, Aaron Altaras und Ruby O. Fee die vier jungen Juden verkörpern.

Außer ihrem Glauben und der damit verbundenen Verfolgung verbindet die vier übrigens nichts. Auch die Umstände ihres Überlebens während der Nazi-Zeit unterscheiden sich stark: Während Ruths gesamte Familie untertaucht und aus der Sorge umeinander und dem Zusammensein große Kraft zieht, ist Hanni ganz auf sich gestellt. Auch der gelernte Grafiker Cioma, der die Zeit im Untergrund mit dem Fälschen von Pässen verbringt, verliert seine Eltern früh und muss sich allein durchschlagen. Eugen wiederum wird von seinem nicht-jüdischen Stiefvater bei unterschiedlichen Bekannten untergebracht – seine Mutter ist durch die Ehe mit einem “Arier” geschützt.

Es ist ein großer Vorteil von “Die Unsichtbaren”, dass er mit seinen vier exemplarischen Geschichten auch einen breiten Querschnitt durch die Motivation der Helfer kreiert: Das sind im Falle Eugens diverse kommunistische Familien, bei Cioma die evangelischen Christen Franz Kaufmann und Helene Jacobs, und bei Hanni eine Zufallsbekanntschaft, der sie zum Familienersatz wird. Der Familie Arndt wiederum halfen dankbare ehemalige Patienten des Vaters, der Arzt gewesen war. Und sogar ein Nazi-Oberst, der Ruth als Hausmädchen beschäftigte, obwohl er um ihre Herkunft wusste: Seine Beweggründe bleiben jedoch im Dunkeln.

Der Film erzählt nicht nur von einem weitgehend unbekannten, ebenso spannenden wie erschütternden Kapitel deutsch-jüdischer Geschichte, hat also nicht nur sein Sujet klug gewählt. Claus Räfle und seiner Co-Autorin Alejandra Lopez gelingt es auch, dramaturgisch geschickt ein gutes Gleichgewicht aus fesselnden, überzeugend gespielten wie inszenierten Spielszenen und nicht minder packenden Gesprächssituationen zu schaffen. Was nicht zuletzt an den Interviewpartnern liegt, die durchweg sympathisch, reflektiert, wach, ja sogar humorvoll daherkommen. Es sind aber auch deren teils schier unglaubliche Lebensgeschichten: Vor allem der Erzählstrang rund um Ciomas abenteuerliche Passfälscherei hat etwas von einem Agentenfilm an sich.

Dennoch lässt der Film niemals vergessen, dass es sich bei dem Gezeigten um die bittere Realität handelt. Und zeigt neben der Grausamkeit die absurde Irrationalität auf, die hinter der Verfolgung einer bestimmten Menschengruppe steht. Umso eindrücklicher erscheint die versöhnliche Haltung gegenüber Deutschland und den Deutschen, die alle vier Zeitzeugen ausstrahlen oder auch konkret formulieren.