Den ersten Einsatz hat die Orgel. So, wie jeder Gottesdienst mit dem Orgelvorspiel beginnt, setzt auch die „Elektria Im Puls“ ein. Doch entlockt Kirchenmusiker Christopher Bender der Orgel dann keine Choräle, sondern „Live Electronics“ – elektronische Klänge. Die Orgel hat eine Computer-Schnittstelle. Der Musiker kann auf dem imposanten Pfeifeninstrument so elektronische Töne entstehen lassen. Und die gehören zur Elektria – einem Veranstaltungskonzept, das regelmäßig Musik, die Strom und Klangverstärker braucht, in den Kirchraum bringt.
In der St.-Johannis-Kirche findet seit 2011 drei Mal jährlich die „Elektria Hörlounge“ statt. Im Juni ist auch das „blurred edges“-Festival in der Stadt – eine Plattform für aktuelle Musik. Deswegen heißt die nächste „Elektria“ am 9. Juni „Elektria Im Puls“. Pastor Constantin Gröhn setzt damit nicht nur theologische Impulse, er zeigt auch, was es bedeutet, am Puls der Zeit zu sein. „Wir haben ja in der Kirche manchmal so ein verengtes Kulturbild, bestimmte Kunst und Kultur wird erwartet“, sagt er, „dafür gibt es meines Erachtens keine theologischen Argumente.“ Gröhn weist auf die Milieuverengung hin – ein bestimmtes Kulturangebot spricht die einen an, die anderen schließt es aus. Bach-Kantaten locken nur bestimmte Gruppen in die Kirchen.
Pastor ist musikbegeistert
„Blurred edges“ bedeutet zu Deutsch: verwischte Ränder. Ränder sind Grenzen. Darum geht es den Veranstaltern, die in ihrer Musik Grenzen der Hörgewohnheiten überschreiten. Und darum geht es auch dem Theologen: „Ich finde den Titel für St. Johannis ganz interessant. Die undichte Grenze – das könnte ein Markenzeichen für St. Johannis sein“, sagt Gröhn. Die elektronische Musik, die, ob am Computer oder am Plattenspieler, immer Strom zum Erzeugen neuer Klänge benötigt, eignet sich seiner Meinung nach gut für ein Gotteshaus. Elektronische Musik kann für viele ein Gefühl von Unendlichkeit mit sich bringen. Töne können unbegrenzt angehalten werden, es gibt Wiederholungen, die in den Trance versetzen können. Taizé-Gesänge, Herzensgebete – die Wiederholung ist ein fester Bestandteil christlicher Spiritualität.
Zugleich gibt es eine Tradition dezidiert geistlicher elektronischer Musik, etwa von Karlheinz Stockhausen. Um einen derartig expliziten Bezug geht es bei der „Elektria“ weniger. Hier ist es vor allem das Gotteshaus, das zur Auseinandersetzung mit Fragen des Glaubens anregt.
Constantin Gröhn ist ein musikbegeisterter Pastor und DJ, Kirchenmusiker Christopher Bender interessiert sich ebenso für elektronische Musik. Als sie 2011 die „Elektria“ ins Leben riefen, motivierte sie ihre private Musikbegeisterung. Wenn die „Elektria Hörlounge“ stattfindet, werden Sitzsäcke in den Gemeindesaal getragen. Das Publikum, das mehrheitlich zwischen 30 und 45 Jahren alt ist, erwartet dann nicht nur Musik vom Mischpult, sondern auch ein Vortrag in entspannter Atmosphäre. „Wir verbinden unsere hochtechnisierte Gesellschaft und Gegenwart mit Religion“, sagt Gröhn. Seit 2016 geht es um das Thema Umwelt und Technik, im Oktober spricht beispielsweise ein Greenpeace-Mitarbeiter zum Thema „Detox your Future! Wie wir gemeinsam im Netz die Textilindustrie entgiften“.