Von Annemarie Heibrock
Auch das ist Teil des geschichtlichen Erbes der Reformation: Polemik gegen die Muslime, vor allem – gegen die Türken. Darin war Martin Luther – seinem Naturell gemäß – nicht zimperlich. Während die (Schuld-)Geschichte seines Antijudaismus bekannt und zumindest einigermaßen aufgearbeitet ist, hat das Thema Reformation und Islam bisher nur wenig Beachtung gefunden.
Immerhin: Im vergangenen Jahr hat die Konferenz für Islamfragen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) im Rahmen der Vorbereitungen zum Reformationsjubiläum ein Impulspapier zum Thema herausgegeben*. Einen Einstieg in das Thema liefert inzwischen auch ein Wikipedia-Artikel. Überschrift: „Luther und die Türken“.
Der Titel ist nicht zufällig. Denn von „Islam“ oder „Muslimen“ sprach zu Luthers Zeiten niemand. Die Anhänger des Propheten nannte man in Mitteleuropa Türken, Sarazenen, Muselmanen oder Mahometisten. Womit ein fundamentales theologisches Missverständnis offenbar wird, das bis heute nicht gänzlich ausgeräumt ist: Die Anhänger des islamischen Glaubens Mahometisten/Mohammedaner zu nennen, hieße – analog zum Christentum – Mohammed die gleiche Bedeutung einzuräumen, die Jesus Christus für die Christen hat. Während aber Christus der Erlöser ist, wahrer Mensch und wahrer Gott, ist Mohammed lediglich ein Prophet – Mensch, nicht Gott.
Angst vor der militärischen Bedrohung
Die in Mitteleuropa im 15./16. Jahrhundert gängige Identifikation zwischen Muslimen und Türken/Sarazenen offenbart ein zweites Problem. Dass es in der Auseinandersetzung mit ihnen nie allein um einen fremden Glauben ging, sondern immer auch um die politische und militärische Gefahr, die aus Südosten drohte. 1453 hatte das Osmanische Reich Konstantinopel erobert; danach rückte es über den Balkan Richtung Mitteleuropa vor und erreichte schließlich 1529 Wien. In diesem „mentalen Kontext“, wie es in dem EKD-Papier heißt, und vor diesem historischen Hingergrund entstanden Luthers Schriften gegen die Türken: „Vom Kriege wider die Türken (1528), „Heerpredigt wider die Türken“, „Vermahnung zum Gebet wider den Türken“ (1541).
Mit allen drei Texten reagierte der Reformator auf die Bedrohungen und forderte zur kriegerischen Gegenwehr auf. Allerdings nicht zum Angriff, weil er die Gefahr durch die Türken als Strafe Gottes ansah. Und einen Kampf gegen die „Rute Gottes“ könne schließlich niemals zum Erfolg führen. Aufgabe der Christen sei es vielmehr, Buße zu tun, zu beten und sich auf das wahre Evangelium zu besinnen. Nur auf diese Weise könne der Türkengefahr ernstlich begenet werden. Kein Zufall ist vermutlich deshalb auch die Tatsache, dass in demselben Jahr, als die Türken vor Wien standen, Luthers kleiner Katechismus erschien. Je stärker die Bedrohung von außen, desto nötiger schien es zu verstehen, was es heißt, ein Christ zu sein.
Aus Sicht des 21. Jahrhundert überrascht es, dass im 15./16. Jahrhundert vom Islam auch als einer christlichen Häresie gesprochen wurde. Der Begriff der Religion in neuzeitlichen Sinne existierte noch nicht, Vielfalt von Religionen, Religionswissenschaft oder eine Theologie der Religionen waren noch unbekannt. Häretisch, also ketzerisch, waren für Martin Luther und Johannes Calvin insbesondere die Ablehnung der Trinität und der Göttlichkeit Jesu sowie die Polygamie und die Idee der Werkgerechtigkeit, die die Reformatoren in ihrer eigenen Kirche ja ebenso anprangerten.
Der Koran – ein Buch „voller lugen“
Ein Kampflied gegen die beiden größten Feinde des wahren Glaubens, neben den Türken der Papst, wurde Luthers Choral „Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort“, der heute in veränderter Fassung unter Nummer 193 im Evangelischen Gesangbuch zu finden ist. Veröffentlicht wurde er zu Luthers Zeiten mit dem Zusatz „Ein Kinderlied, zu singen wider die zween Ertzfeinde Christi und seiner heiligen Kirchen, den Bapst und Türcken“. In einer Magdeburger Gesangbuchausgabe von 1543 heißt es:„Erhol uns Here by dunem Wordt,/unde stüre des Pawest und Türcken mordt/De Ihesum Christum dynen Son/Störtzen wollen van dynem thron“.
Im Vergleich aber mit dem Papsttum war der Islam aus Luthers Sicht – so jedenfalls schreibt er in seinen Schmalkaldischen Artikeln – die geringere Gefahr: „Türken“ und „Tataren“, so große Feinde der Christen“ sie auch sind, „sie lassen (jeden), der es will, an Christus glauben und verlangen (bloß) leiblichen Zins und Gehorsam von den Christen“.
Zu diesem Zeitpunkt hatte sich der Wittenberger Reformator bereits intensiv mit dem Koran befasst. Ja, er setzte sich sogar für eine Veröffentlichung des Buches ein – allerdings mit dem Ziel, dass die Christen verstehen, „wie gar ein verflucht, schendlich, verzweivelt buch es sey, voller lugen, fabeln und aller grewel“. An anderer Stelle rät Luther zu einer deutschen Übersetzung des Koran, damit „doch bey uns deudschen auch erkand werde, wie ein schendlicher Glaube des Mahomets Glaube ist, Da mit wir gesterckt werden in unserm Christlichen Glauben“.
Zwar registriertLuther mit Respekt das vorbildlichere Leben der Muslime, etwa die Zucht und Stille im Gebet sowie die Ablehnung von Alkohol und Völlerei, gleichzeitig aber versucht er es als äußerliches Blendwerk zu entlarven. Insgesamt sei der Islam falsch und „die Türken“ ehrten „den teuffel an Gottes stat“. Nichts könne ihnen daher mehr schaden als eine Veröffentlichung des Koran.
Die Urteile, die Luther über den Koran fällt, dürften zuallererst der Lektüre des Buches entsprungen sein. Weitergehende Erfahrungen wie persönliche Begegnungen mit Muslimen/„Türken“ hat er vermutlich – wie andere Reformatoren auch – nicht gehabt. Auch kann man in jener Zeit von einer nicht besonders umfangreichen Quellenlage ausgehen. Es habe, wie es im EKD-Papier heißt, jedoch einige Gelehrte gegeben, die diese (bescheidenen) Kenntnisse durch eigene Studien vertieften. Und das mit unterschiedlichen Akzentuierungen.
Der Reformator Huldrych Zwingli sah den Islam als christliche Häresie und, wie Luther, als Bedrohung der westlichen Christenheit. Die friedliche Mission an den Muslimen war für ihn eine denkbare Alternative zur kriegerischen Auseinandersetzung.
Einen etwas anderen Akzent setzte Johannes Calvin. Auch aus seiner Sicht war der Islam wegen seines Anspruchs einer eigenen Offenbarung Häresie und Mohammed ein Mann, der eine große Zahl von Christen zum Abfall vom wahren Glauben gebracht habe. Aber seine kritische Grundhaltung, so die Verfasser des EKD-Papiers, sei anders als etwa die Luthers. Sie sei primär theologischer Natur und nicht moralisch abwertend, denn sie richte sich auf die Glaubenslehren, nicht auf die Ethik.
„… denn ein Türke ist unser Fleisch“
In einer Predigt sagt Calvin: „Nun, wenn die Natur uns lehrt, einer dem anderen gegenüber Barmherzigkeit zu erweisen, da diese geistige Verbindung besteht, die Gott durch das Evangelium gegeben hat, bedarf es dann noch etwas darüber hinaus? Nehmen wir den Fall, wir seien quasi unter den Türken und dass es kein anderes Band gäbe, das uns mit dieser Gemeinschaft verbindet (…), außer dass wir alle Menschen sind, wovon wir alle überzeugt sind; denn ein Türke ist unser Fleisch. Und unser Herr Jesus zeigt auch klar, dass wir eine Nähe zu denen haben, die uns fremd erscheinen (…)“.
Wenn die Kirchen heute den Dialog mit den muslimischen Nachbarn führen, dann ist es wohl eher Johannes Calvin, an den sie andocken können, als Martin Luther. Insgesamt aber bleibt das Erbe aus der Reformationszeit sperrig, sagen die Verfasser des EKD-Papiers. Es gelte, es sich „in Aufnahme und Abgrenzung“ so anzueignen, dass dadurch die Verständigung zwischen evangelischen Christen und Muslimen nicht erschwert, sondern erleichtert werde.
* Reformation und Islam. Ein Impulspapier der Konferenz für für Islamfragen der Evangelischen Kirche in Deutschland. Hannover 2016. Download: www.ekd.de/EKD-Texte/reformation_und_islam.html.