Kantate feiert die Kirchenmusik, wie sind Sie beide durch Kirchenmusik geprägt worden?
Kathy Kelly: Ich bin in Spanien aufgewachsen, dort haben Menschen immer und überall gesungen und Religion hat mit Prozessionen und Leidenschaft zu tun. Mein erster Auftritt mit sechs Jahren fand in einer Kirche statt und ich habe 40 Ordner mit Kirchenmusik zu Hause.
Jay Alexander: Ich bin mit Sonntagsschule und Jungschar großgeworden und da gehörte das Singen aus dem Gotteslob immer dazu. Später habe ich viele Oratorien gesungen und bin als Tenor da immer der Erzähler der Evangelien. Manche Bibelstelle kannte ich noch gar nicht und habe sie dann in der Bibel nachgelesen. Ich sehe die Musik als kleinen Propheten, weil sie mich auf Dinge stößt.
Was brauchen die Menschen in diesen Zeiten und was kann Ihre Musik da anstoßen?
Kathy Kelly: Wir haben als Künstler in der Gesellschaft die Aufgabe, Freude und Zuversicht zu bringen und so etwas wie Hoffnung, vielleicht wird uns das derzeit bewusster.
Jay Alexander: Menschen brauchen Halt, ganz viel Kraft und positive Energie. Unser Album hat Lieder zum Nachdenken, aber auch Weltmusik, bei der man mitgeht, in die man sich reinhört und sofort auf eine andere Stimmungsautobahn kommt. Man kann mit Musik die Welt nicht verändern, aber sie erträglicher machen.
Kann denn etwa so ein Song wie „Ein neuer Tag“, der Gottes wunderbare Welt beschreibt, Menschen lehren, anders hinzusehen?
Kathy Kelly: Ich mache einen großen Unterschied zwischen einem Künstler und etwa einer Pfarrerin oder einem Priester, dessen Aufgabe die Verbreitung des christlichen Glaubens ist. Ich begrenze mich auf meine Kunst, ich pflege die Schönheit, erzähle von meinem innerlichen Glauben und Leben und hoffe, damit die Menschen im Herzen zu erreichen. Und als Sänger wollen wir immer handwerklich schöne Töne.
Jay Alexander: Beim Musikmachen geht es gar nicht so sehr um Absicht. Wir haben uns einfach frei gesungen, es genossen und sind dankbar für die Texte, die wir geschenkt bekommen haben. Was die Songs beim Publikum auslösen, wissen wir erst, wenn wir sie live gesungen haben. Wenn Menschen uns in Autogrammstunden oder in Briefen von Erlebnissen erzählen, die sie mit der Musik haben. Darauf freue ich mich schon.
Sind Konzerte ohne Publikum wie eine Einbahnstraße?
Jay Alexander: Des Künstlers Brot ist der Applaus. Und wir wollen den Puls des Publikums spüren. Wenn man in einem Saal für 4000 Menschen steht und nur 20 Verantwortliche da sind – das ist schrecklich.
In einem leeren Fernsehgarten gibst du alles und singst doch nur wie in einen nassen Sack.
Und wie kommt das neue Album „Unter einem Himmel“ an?
Jay Alexander: Wir sind in der ersten Woche auf Platz 21 der Albumcharts und auf Platz 5 der Schlagercharts eingestiegen. Der Erfolg ist toll, ist aber nicht in erster Linie das, was uns antreibt. Es ist der Spaß an der Musik.
Wie im Song „Halleluja“, mit Spanisch gemixt …?
Kathy Kelly: Genau, wir wollten etwas Neues machen und wenn ich Spanisch singe, dann singe ich ganz frei und voller Temperament wie eine Spanierin.
Wie kann eine Stimme frei und gut klingen?
Jay Alexander: Wenn ich traurig bin, mir Sorgen mache, hemmt das auch meine Stimme. Wenn ich mit mir im Einklang bin, kann ich die schönsten Töne aus mir herauslocken. Wichtig dabei: viel Wasser trinken und möglichst gut schlafen.
Kathy Kelly: Früher war meine Stimme pure Natur auf der Straße. Vor 20 Jahren habe ich eine Opernausbildung begonnen, mit einer guten Technik ist es einfacher zu singen und man kann viel mehr mit der Stimme machen.
Gab es nach langer Zeit als Front-Frau in der Kelly Family auch die Idee mit der Musik aufzuhören?
Kathy Kelly: Es gab eine trockene Zeit in den 1990ern. Wir hatten alles erlebt und die Leidenschaft war ein bisschen weg. Und dann gab es ein Erlebnis: Ein Fan reichte mir die Noten von „Ave verum“ über den Zaun – und dann packte mich das neu, ich begann zu studieren, Messen zu singen und im Chor zu arbeiten.
Wie viel Mut gehört dazu, vom Glauben zu singen?
Kathy Kelly: Für uns ist das ganz normal. Ich habe fast 20 Jahre in Kirchen und Chören gesungen, Jay hat unzählige Oratorien aufgeführt, wir haben da überhaupt keine Berührungsängste.
Besonders persönlich finde ich die Fassung von „You raise me up“…
Jay Alexander: Ich habe in den vergangenen Monaten viel Schmerz und Abschied erleben müssen, ich habe mir vorgestellt, wie der Lieddichter Rolf Lovland sich gefühlt haben muss, als seine Mutter gestorben ist. Und das Lied besingt eine Haltung, die für uns alle wichtig ist: für einander da zu sein.
Kathy Kelly: Ich kenne das aus Messen in Irland, es ist ein sehr keltisches Lied und es hat eine enorme Power wie „Amazing Grace“. Es gibt einfach Lieder, die begleiten einen ein Leben lang.
Zurück zur Corona-Krise: Viele Künstler leiden existentiell. Wird die Vielfalt der Kunst abnehmen?
Jay Alexander: Im Gegenteil. Jemand, der unbedingt musizieren will, der wird das auch weiter tun. Und der Hunger nach Kultur, Musik, Lesungen wird bei den Menschen nach Corona groß sein. Und dann sind wir da.
Kathy Kelly: Die künstlerische kreative Energie findet immer einen Weg.
Haben Sie eine Tour geplant?
Jay Alexander: Wir beginnen am 6. Januar 2022 in der Kreuzkirche in Bonn und kommen am 16. Januar 2022 in die Passionskirche in Berlin. Hoffentlich geht es durch 40 Orte.
Wie gelingt es Ihnen, zuversichtlich zu bleiben?
Jay Alexander: Bei mir ist es von klein auf mein Glauben. Ich ringe auch und zweifle, aber ich verlasse mich immer auf Gottes Hilfe.
Kathy Kelly: In Höhen und Tiefen muss man sich bewusst machen, was es alles noch gibt. Sich an einfachen Dingen freuen, zum Beispiel Spazierengehen. Außerdem denke ich: In der Ruhe liegt die Kraft.
Welche Chancen hat die Musik in der Verkündigung?