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“Die Schoah soll nicht als etwas Vergangenes betrachtet werden”

Zum 80. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz startet eine bundesweite Kino-Initiative. Initiator Eric Friedler vom Haus des Dokumentarfilms Stuttgart über Antisemitismus heute und die Gegenwärtigkeit der Schoah.

Eric Friedler (53) ist seit 2024 Geschäftsführer und Programmleiter des Hauses des Dokumentarfilms in Stuttgart. Der mehrfach mit dem Grimme-Preis ausgezeichnete Dokumentarfilmer ist einer der Initiatoren der Kino-Initiative, die ab dem 26. Januar, also ab dem Vortag des 80. Jahrestags der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau, startet.

Immer offensiver und rücksichtsloser zeigt sich ein feiger Antisemitismus in der politischen und gesellschaftlichen Wirklichkeit. Wir wollen mit dieser bundesweiten Kino-Initiative ein deutliches Zeichen gegen diese Gesinnung und geschichtslose und menschenverachtende Pose setzen. Dokumentarfilme dokumentieren den Mord an den Juden und Jüdinnen Europas; Überlebende der Schoah legen Zeugnis ab von den Gräueln in den Konzentrations- und Vernichtungslagern und berichten auch vom jüdischen Widerstand gegen die SS-Wachmannschaften. Ich bin dankbar, dass sich so viele Personen, Institutionen und Kinos dieser Initiative angeschlossen haben und in verschiedenen Veranstaltungen laut gegen Antisemitismus und für jüdisches Leben eintreten.

Die Schoah soll nicht als etwas Vergangenes betrachtet werden, sondern ihre Gegenwärtigkeit im heutigen politischen und gesellschaftlichen Leben befragt und als eine dauernde Verantwortung reflektiert und manifestiert werden.

Der Film – ob Spielfilm oder Dokumentarfilm – kann Erinnerungen über die Grenzen einer Erfahrungsgemeinschaft hinaus vermitteln. Die Mediengeschichte kennt viele Beispiele, wie durch Kino- oder Dokumentarfilme eine gesamtgesellschaftliche Debatte ausgelöst und der Grundstein dafür gelegt wurde, was wir heute als institutionelle Erinnerungskultur kennen. Daher hat der Film auch eine eminente Bedeutung für die politische Bildung – als Kunstform, die ein Massenpublikum erreichen und nicht nur auf einer intellektuellen Ebene informieren, sondern auch emotional berühren kann.

Weil es darum geht, dass sich Menschen über das, was sie in diesen Filmen gesehen haben, austauschen. Das Erschrecken über das Gesehene teilen, trauern und darüber hinaus Fragen stellen, sich und anderen, und gemeinsam Antworten suchen. Eine Haltung finden, die den Gräueln der Schoah, dem Leiden der Menschen auch in der Gegenwart einen Raum gibt. Und die Opfer nicht dem Vergessen ausliefert. .

Ja. Denn Weiss’ Bühnendrama ist nach wie vor ein Schlüsseltext des dokumentarischen Theaters. Die filmische Übersetzung von RP Kahl ist kongenial. Was Peter Weiss versucht hat, mit theatralen Mitteln Mitte der 1960er Jahre zu zeigen, als in Deutschland das Vergessen und Verleugnen der Verbrechen ein nahezu alltägliches Ritual war, das ist in dem britischen Dokumentarfilm in unmittelbarer Schonungslosigkeit zu sehen. Ein filmischer Beweis für die Verbrechen der rücksichtslosen Verfolgung und Massenvernichtung und des millionenfachen Mords.

Die Produktionsgeschichte ist kompliziert. Verknappt gefasst: Der Film basiert auf einer Grundidee des Produzenten Sidney L. Bernstein, der als Angehöriger der britischen Armee unmittelbar nach der Befreiung der Konzentrationslager vor Ort war. Er ließ Filmaufnahmen machen. Und montierte sie zu einem ersten filmischen Entwurf. Dann fragte er Billy Wilder, zu der Zeit als Angehöriger der U.S. Army in Deutschland, ob er die Gesamtleitung übernehmen könne.

Wilder sagte ab, verantwortete aber später die Regie des von Hanus Burger angefangenen Films “Die Todesmühlen”. Hitchcock, in den USA mittlerweile etabliert, befand sich zu dieser Zeit eher zufällig in London, auch weil er wohl plante, mit Bernstein zukünftig zu produzieren. Hitchcock kam Bernsteins Bitten nach, entwarf ein Treatment und gab zusammen mit Cuttern dem Filmmaterial schließlich ein narratives Gesicht.

Dass das Ergebnis dann nicht in die Kinos kam, sondern in einem Archiv verschwand, lag mit daran, dass sich die offizielle Politik der westlichen Alliierten gegenüber den Deutschen verändert hatte. Nicht mehr die bedingungslose Konfrontation mit den Verbrechen, die Deutsche begangen hatten, sondern eine eher zugewandte, demokratische Re-Edukation war, verkürzt gesprochen, die neue politische Prämisse.

Die Auseinandersetzung mit der Schoah war für Karl Fruchtmann ein Lebensthema. Innerhalb seines leider immer noch allzu unbekannten Werks hat er sich mehrfach diesem Thema gestellt – dokumentarisch und in fiktionalisierter Form. Die TV-Serie “Holocaust” fand bei ihrer Ausstrahlung 1979 ein überwältigendes Publikum. Über die Rezeption ist vielfach berichtet worden – über den, verallgemeinernd gesprochen, Schock des deutschen Fernsehpublikums. Aber “Holocaust” erzählt das Leben einer fiktiven jüdischen Familie.

Fruchtmanns Film konfrontierte das Publikum mit realen Überlebenden der Schoah. Deren unmittelbare und wirklichkeitsnahe Erzählungen stießen auf heftige Ablehnung. Dass Radio Bremen diesen Film 1981 produzieren und ausstrahlen ließ, ihn 2021 noch ergänzte um die Dokumentation “Zeugen – Wie der Holocaust ins Fernsehen kam”, war ein mutiger medien- und gesellschaftspolitischer Akt. Die erfolgreiche amerikanische TV-Serie hat den Sendern tatsächlich erst Raum gegeben, diesen Teil deutscher Geschichte in den Programmfokus einzuschließen.

Diese Tendenzen gibt es gewiss, international und auch im deutschen Kino. Eine Ausnahme in dieser fast unendlichen Reihe historisierender Filme möchte ich nennen: Theodor Kotullas “Aus einem deutschen Leben” von 1977, also noch vor “Holocaust” entstanden – und in den bundesdeutschen Kinos kein Erfolg. Eine nüchterne, auf Verhörprotokollen und autobiografischen Aufzeichnungen basierende Rekonstruktion des Lebens von Rudolf Höß, dem Kommandanten von Auschwitz. Kotulla gelingt es, obwohl es ein Spielfilm ist, geradezu dokumentarisch den Kern der Mechanik der deutschen Vernichtungsmaschinerie zu dekonstruieren. Darauf, so denke ich, kommt es in den filmischen Auseinandersetzungen an: die Schoah nicht als etwas Vergangenes zu betrachten, sondern ihre Gegenwärtigkeit im heutigen politischen und gesellschaftlichen Leben kenntlich zu machen, sie als eine dauernde Verantwortung zu demonstrieren.

Dass die Filme und die begleitenden Diskussionen uns vergegenwärtigen, Geschichte nicht als etwas Vergangenes zu betrachten und die NS-Diktatur nicht als einen “Vogelschiss” abzutun. Wenn das mit unserem Angebot gelänge, dann wäre es – aus meiner Sicht – ein kleiner demokratischer Kiesel, den wir in das Heute einbringen könnten.