Im nordhessischen Treysa trafen sich vor 80 Jahren Kirchenvertreter. 43 Einladungen hatte der württembergische Landesbischof Theophil Wurm ausgesprochen. 120 Herren in „schäbigen Anzügen“ kamen in den Kirchsaal der Behindertenanstalt „Hephata“, um sich nach Ende des Krieges über die Schaffung einer gemeinsamen Organisation für die evangelischen Kirchen in Deutschland und die Gründung des Evangelischen Hilfswerks (später Diakonisches Werk) zu verständigen.
Die Kirchenkonferenz von Treysa im August 1945 gilt als Geburtsstunde der Evangelischen Kirche in Deutschland nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus. Treysa war, nach Abtrennung der Ostgebiete, genau die Mitte der vier Besatzungszonen und in der Anstalt standen entsprechende Räumlichkeiten zur Verfügung.
Ein Land in Trümmern
Kurz nach Kriegsende waren das öffentliche Leben in Deutschland weitgehend zerfallen, die Bevölkerung traumatisiert und die Institutionen diskreditiert. Der Kirchenkampf zwischen regime-nahen „Deutschen Christen“ und der oppositionellen Bekennenden Kirche hatte die evangelischen Landeskirchen in ein Trümmerfeld verwandelt.
Es gab nur noch drei „funktionierende“ Landeskirchen (Hannover, Bayern und Württemberg), die im Gegensatz zu anderen die NS-Zeit relativ unbeschadet überstanden. Theophil Wurm hatte sich zum Ziel gesetzt, die zerstrittenen Richtungen zusammenzuführen. Es galt, die Einheit der evangelischen Christenheit über die innerprotestantischen Grenzen hinweg zu manifestieren.
Gründung der EKD
Vor allem die konfessionellen Lutheraner legten Wert darauf, dass die bestehenden Strukturen und Bekenntnisgrundlagen der einzelnen Landeskirchen erhalten blieben. An die Stelle der „Deutschen Evangelischen Kirche“ setzte man in Treysa die „Evangelische Kirche in Deutschland“ (EKD).
Die Tagung in Treysa führte zur Bildung des Rates der EKD und zur „Vorläufigen Ordnung“, die 1948 in Eisenach als Grundordnung der EKD verabschiedet wurde. Darin definiert sich die EKD als „Bund lutherischer, reformierter und unierter Kirchen“, in dem „die bestehende Gemeinschaft der deutschen evangelischen Christenheit sichtbar“ werden soll.
Ratsvorsitzender wurde Theophil Wurm, sein Stellvertreter Martin Niemöller. In das Leitungsgremium wurde auch der spätere Bundespräsident Gustav Heinemann berufen. Die EKD umfasste 26, nach Beitritt Bremens 27 Gliedkirchen, 13 lutherische, 12 unierte und 2 reformierte.
Neubeginn mit blinden Flecken
Der 80. Jahrestag zeigt den kritischen, zugleich hoffnungsvollen Neubeginn. Das damals verabschiedete „Wort an die Gemeinden“ weist auf einige problematische Aspekte und Ambivalenzen hin. So ist darin zwar der Ansatz zur Selbstkritik erkennbar, aber das Ausmaß kirchlicher Verstrickung in Machtstrukturen, Judenverfolgung oder die Anpassung an das NS-System nicht deutlich benannt.
Erst 1950 bekennt sich die EKD auf der Synode in Berlin-Weißensee im „Wort zur Judenfrage“ zur Mitschuld „an dem Frevel, der durch Menschen unseres Volkes an den Juden begangen worden ist“. Der Kirchenhistoriker Jochen-Christoph Kaiser sieht die Teilnehmer von Treysa noch sehr stark im Kirchenkampf verhaftet, sodass sie über mühsam erzielte Kompromisse nicht hinauskamen.
Ihnen im Nachhinein Vorwürfe zu machen, verkenne die geschichtliche Situation nach den „extremsten Umbrüchen“, denen sich der deutsche Protestantismus seit der Reformation ausgesetzt sah, so Kaiser beim Rückblick auf 70 Jahre EKD vor zehn Jahren.
Ein ambivalenter Meilenstein
Die Konferenz von Treysa bleibt ein Meilenstein und zugleich ein ambivalenter Moment in der protestantischen Nachkriegsgeschichte: zwischen Neuanfang und Stagnation, zwischen dem Mut zur Buße und der Verdrängung kollektiver Verantwortung.
