Rund 200 Stufen geht es nach oben, dann können Besucher einen weiten Rundblick über das Dessau-Wörlitzer Gartenreich genießen. Der Turm der evangelischen Kirche St. Petri in Wörlitz in Sachsen-Anhalt ist eine Landmarke. Doch auch auf den drei Ebenen unterhalb der Aussichtsplattform gibt es viel zu sehen. Seit genau 30 Jahren gibt es den Bibelturm, der Besucher in wechselnden Ausstellungen mit den Inhalten der Heiligen Schrift der Christen vertraut macht. Am Sonntag wurde das Jubiläum mit einem Gottesdienst gefeiert.
Pfarrer Torsten Neumann ist sozusagen der Turmwächter. Der Geschäftsführer der Anhaltischen Bibelgesellschaft und des Bibelturms führt auch selbst Touristen durch das Bauwerk. „Feste feiern!“, so heißt seit 2017 die Ausstellung, die Besucher mit den Wurzeln der christlichen Feste vertraut machen will. So wird der Aufstieg auf den Bibelturm zu einer Reise durch das Kirchenjahr: Auf der ersten Ebene werden Advent, Weihnachten und Dreikönig thematisiert. Der Brauch des Weihnachtsbaumes wird dort ebenso erklärt wie der Christstollen.
Mit dem Advent beginnt das Kirchenjahr, das Ostern seinen Höhepunkt erreicht. Davon erzählt die zweite Ebene, auf der unter anderem ein buntes Osternest zu sehen ist. Die dritte Ebene lädt dann zum Ausruhen ein: Christi Himmelfahrt und Pfingsten sind das Thema dieser letzten Station, an der die Besucher bei leisen Gesängen der Gemeinschaft von Taizé entspannen können. An einem Kreuzbaum können sie Bitten oder Gebetsanliegen hinterlassen.
Diese niederschwellige Art des Zugangs zu den Inhalten der Bibel macht das besondere Konzept des Bibelturms aus, erklärt Neumann. Nachdem 1985 die letzte Türmerin aus der Türmerwohnung ausgezogen war, stand diese leer. Die inzwischen aufgelöste Evangelische Haupt-Bibelgesellschaft in Berlin wollte nach dem Ende der DDR bibelmissionarische Zentren in den neuen Bundesländern errichten. Damit sollten die Menschen, die 40 Jahre lang in einer offiziell atheistischen Gesellschaft gelebt hatten, wieder mit biblischen Inhalten in Kontakt gebracht werden.
Unter anderem in Wörlitz wurde man fündig, sodass am 3. September 1994 der Bibelturm eröffnet werden konnte. Seitdem hat es vier Ausstellungen gegeben, zu den Themen „Turm“, „Lebenszeichen und Schöpfung“, „Himmel und Erde“ sowie aktuell zu christlichen Festen. Die Gäste seien meistens Touristen auf dem nahe gelegenen Elberadweg oder Besucher des Gartenreichs Dessau-Wörlitz, das mit seinen zahlreichen Schlössern, Gärten und Seen seit dem Jahr 2000 zum Weltkulturerbe der Unesco gehört.
Laut Torsten Neumann gibt es 20 Ehrenamtliche, die sich um die Besucher kümmern. Sie stammten zumeist aus den örtlichen Kirchengemeinden. „Dadurch können sie zu den Themen Glaube und Bibel authentisch mit den Besuchern ins Gespräch kommen“, sagt der evangelische Pfarrer. Rund 8.000 finden demnach jährlich den Weg hoch auf den 66 Meter hohen Kirchturm.
Mittlerweile ist die Evangelische Landeskirche Anhalts Trägerin des Bibelturms. Ein ökumenischer Beirat, in dem etwa die örtliche katholische Pfarrei oder die methodistische Gemeinde vertreten sind, konzipiert die Arbeit des Projekts. Das Jubiläum wurde an diesem Wochenende gefeiert, insbesondere mit einem Festgottesdienst am Sonntag. Im Anschluss sollte der frühere anhaltische Kirchenpräsident Joachim Liebig über das Verhältnis des Schriftstellers Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) zur Bibel sprechen.
Die Kirche St. Petri wurde im Jahr 1201 geweiht. Bereits der Reformator Martin Luther (1483-1546) habe hier vor den anhaltischen Fürsten gepredigt, hieß es. Seine heutige Gestalt hatte das Gotteshaus zwischen 1804 und 1809 erhalten.