Die Zahlen sind nicht unerwartet und klingen doch dramatisch. Die Babyboomer gehen in Rente. Die Zahlen der Menschen mit Demenz und Alzheimer in Deutschland steigen stark an. Das stellt wachsende Anforderungen an das Gesundheitssystem, Familien und das soziale Netzwerk, wie Mediziner und Patientenorganisationen zum Welt-Alzheimertag am Samstag mahnen.
Statistiker verzeichnen deutliche Anstiege bei der Zahl der an Demenz erkrankten Menschen und bei Patienten, die daran sterben. Mitte August hatte die Deutsche Alzheimer Gesellschaft mitgeteilt, dass in Deutschland derzeit rund 1,8 Millionen Menschen mit einer Demenzerkrankung leben, die meisten davon mit Alzheimer. 2021 seien etwa 440.000 Menschen neu erkrankt, hieß es. Je nachdem, wie sich die Altersstruktur insgesamt entwickelt, werde sich die Zahl der Menschen mit Demenz über 65 Jahren bis 2050 auf 2,4 bis 2,8 Millionen erhöhen.
Zahl der Demenztoten verdoppelt
Auch die Zahl der Demenztoten weist nach oben. Rund 10.100 Menschen sind 2023 in der Bundesrepublik an Alzheimer gestorben, teilte das Statistische Bundesamt mit. Damit hat sich die Zahl der Todesfälle innerhalb von 20 Jahren fast verdoppelt. Das Risiko, an Alzheimer zu erkranken, steigt mit zunehmendem Alter. So waren 2023 mehr als die Hälfte der an der Krankheit Verstorbenen 85 Jahre und älter, aber nur zwei Prozent jünger als 65 Jahre.
Diese Zahlen haben Auswirkungen auf Krankenhäuser und Arztpraxen, die häufig auf Demenz-Erkrankte wenig eingestellt sind. Die Zahl der Krankenhausbehandlungen bei Alzheimer nahm deutlich zu. 2022 wurden rund 19.000 Patienten stationär behandelt und somit 61 Prozent mehr als 20 Jahre zuvor. Im Schnitt dauerte die Behandlung 20,2 Tage, während die durchschnittliche Verweildauer im Krankenhaus bei allen Diagnosen bei 7,2 Tagen lag.
Neue Antikörpertherapien in Sicht
All das bedeutet viel Leid und Millarden-Kosten für die Gesellschaft. Wirksame Therapien gibt es, trotz mancher Hoffnungsmeldungen und intensiver Forschung, noch keine. Allerdings macht die Deutsche Gesellschaft für Neurologie ein wenig Hoffnung. “Die gute Nachricht: Es gibt verbesserte Möglichkeiten der Früherkennung, und die Zulassung von spezifischen Alzheimer-Antikörpertherapien wird auch in Europa in Kürze erwartet”, erklärte die medizinische Fachgesellschaft am Dienstag. Dadurch könnte das Fortschreiten der Erkrankung um bis zu 30 Prozent verlangsamt werden.
Der Haken an der Sache: Betroffene müssen sehr frühzeitig diagnostiziert werden. Derzeit seien die Versorgungsstrukturen darauf aber nicht ausgelegt. “Die neuen Antikörper wirken nur im Stadium der milden kognitiven Einschränkung”, erklärte Peter Berlit, Generalsekretär der Neurologen-Gesellschaft. Deshalb brauchten sehr viele Menschen eine frühzeitige fachärztliche Abklärung, wenn sie erste Symptome einer kognitiven Einschränkung bemerkten, also zunehmend häufiger Dinge verlegten oder Namen vergäßen. “Natürlich haben nicht alle, die so etwas beobachten, eine Demenzerkrankung, sie sollten sich aber dennoch zur Abklärung vorstellen.”
Frühzeitigen Abklärung in Facharztpraxen
Bislang, so die Experten, würden leichte kognitive Einschränkungen wegen fehlender Behandlungsmöglichkeiten nicht weiter diagnostisch abgeklärt und Betroffene erst in einem weiter fortgeschrittenen Stadium ärztlich versorgt. “Jetzt aber müssen wir bei ersten Symptomen differenzialdiagnostisch tätig werden”, so Neurologe Berlit. “Es werden nun viel mehr Menschen zur frühzeitigen Abklärung in die Facharztpraxen kommen und es werden dadurch auch mehr Betroffene früher diagnostiziert, die dann kontinuierlich weiter versorgt werden müssen.” Allein die Gabe der Antikörper werde viele fachärztliche Ressourcen binden.
Es gelte also, entsprechende Strukturen an Personal, Räumlichkeiten und Equipment in Praxen und Ambulanzen vorzuhalten, fordert Berlit. Auch der Hausarztpraxis käme in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle zu: Hier sollte selektiert werden, ob eine “Vergesslichkeit” altersentsprechend oder durch Ängste bedingt oder ob eine Überweisung in die neurologische Facharztpraxis erforderlich sei. Das bedeute, dass Hausärztinnen und Hausärzte erste Demenztests durchführen müssten.