“Wir Heimatvertriebenen verzichten auf Rache und Vergeltung”, heißt es in deren “Charta” von 1950. Dies habe den Weg der Aussöhnung geebnet, betont Baden-Württembergs Innenminister – vor einem wichtigen Jubiläum.
Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) hat die Heimatvertriebenen gelobt: “Ohne ihre kulturellen Beiträge wäre das Land ärmer, ohne ihre fleißige Arbeitsleistung hätten wir nicht diesen Wohlstand”, sagte Strobl am Montag in Stuttgart.
“Wir verdanken den Heimatvertriebenen kulturell, wirtschaftlich und politisch sehr viel”, betonte der stellvertretende baden-württembergische Ministerpräsident und ergänzte: “Ohne ihre klare Haltung bei der seinerzeitigen Volksabstimmung gäbe es das Land Baden-Württemberg gar nicht: Sie waren mehr als das Zünglein an der Waage.”
Einen Tag vor der Rede von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) in Stuttgart vor Heimatvertriebenen würdigte auch Verbandspräsident Bernd Fabritius deren “historische” Leistung. Die vor 75 Jahren in Stuttgart verkündete Charta der deutschen Heimatvertriebenen sei für die Flüchtlinge der Nachkriegszeit zu “einer Art Grundgesetz” geworden, sagte Fabritius in einem Interview der “Stuttgarter Zeitung” (Montag).
Das programmatische Papier sei “ein historisches Signal des Neubeginns” gewesen, so der Präsident des Bundes der Vertriebenen weiter. Der darin ausdrücklich erklärte Verzicht auf Rache und Vergeltung sei für die damaligen Zeitgenossen “keineswegs selbstverständlich” gewesen, sagte Fabritius. Die Charta sei “für die junge Bundesrepublik ein stabilisierendes Element” gewesen. Sie erinnere daran, “dass selbst unter schwierigsten Umständen Verständigung möglich ist”.
Innenminister Strobl erklärte, mit der Charta sei “vor 75 Jahren in Stuttgart deutsche Geschichte geschrieben” worden. “Die Charta war und ist für die weitere Entwicklung unseres ganzen Landes von großer Bedeutung.”
Die Charta wurde am 5. August 1950 in Stuttgart-Bad Cannstatt von 30 Vertretern der deutschen Heimatvertriebenen unterzeichnet und einen Tag später auf dem Stuttgarter Schlossplatz und im ganzen Bundesgebiet verkündet. Wörtlich heißt es dort: “Wir Heimatvertriebenen verzichten auf Rache und Vergeltung. Dieser Entschluß ist uns ernst und heilig im Gedenken an das unendliche Leid, welches im besonderen das letzte Jahrzehnt über die Menschheit gebracht hat.”
Strobl betonte, damit hätten die Heimatvertriebenen ihrem Willen Ausdruck verliehen, “aus dem Kreislauf der Gewalt, von Krieg und Vertreibung auszusteigen”. Der Minister unterstrich: “Damit war der Weg der Verständigung und der gemeinsamen Aussöhnung mit unseren europäischen Nachbarn geebnet.” Die Ausrichtung im Text der Charta auf ein “Europa, in dem die Völker ohne Furcht und Zwang leben können”, sei zur damaligen Zeit “geradezu visionär” gewesen.
Die Heimatvertriebenen hätten die Entschlossenheit und die Weitsicht gehabt, “radikalen Forderungen zu entsagen”, so Strobl. Sie hätten zwar “berechtigte Wünsche nach einer gerechteren Lastenverteilung und einer besseren Eingliederung in die deutsche Gesellschaft” gehabt. Dies hätten sie aber mit der Zusage verbunden, sich beim Wiederaufbau Deutschlands und Europas voll einzubringen, was sie “vorbildlich erfüllt” hätten.
Der Festakt zum 75. Jahrestag der Verkündung der Charta – bei dem Kanzler Merz sprechen wird – findet am Dienstag im Neuen Schloss in Stuttgart statt. Er bildet den Auftakt zum diesjährigen “Tag der Heimat” des Bundes der Vertriebenen. Die Veranstaltung steht unter dem Leitwort “80 Jahre: Erinnern – Bewahren – Gestalten”.
Durch Flucht und Vertreibung haben etwa zwölf Millionen Deutsche in den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs und den Jahren danach ihre Heimat im Osten verloren. Sie kamen aus Ost- und Südosteuropa in die Bundesrepublik Deutschland und die DDR. Sie flohen aus Ostpreußen, Pommern, dem Sudetenland und Schlesien. Viele dieser Vertriebenen haben sich in sogenannten Landsmannschaften und Vertriebenenverbänden zusammengeschlossen.