Ein Treffen von AfD-Vertretern mit Rechtsextremisten Ende November in Potsdam hat eine seit Wochen andauernde bundesweite Protestwelle ausgelöst. Dabei wurde nach Recherchen des Netzwerks „Correctiv“ über eine massenhafte Ausweisung von Menschen mit Migrationsgeschichte aus Deutschland gesprochen. Ulrike Seemann-Katz vom Flüchtlingsrat Mecklenburg-Vorpommern sagt im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd), wie sie die Demonstrationen gegen Rechtsextremismus einschätzt und was sie sich wünscht.
epd: Wie bewerten Sie die derzeitigen Demonstrationen gegen Rechtsruck?
Ulrike Seemann-Katz: Die Demonstrationen sind auch Demonstrationen FÜR Demokratie. Sie unterstützen unsere Arbeit. Sie geben uns endlich mal Rückenwind. Seit Jahren setzen wir uns für Menschenrechte und für einen anderen Diskurs über Geflüchtete ein. Es freut uns, dass Millionen auch dafür auf die Straße gehen. Ob das aber nachhaltig sein wird und gegebenenfalls bis zu den Europa- und Kommunalwahlen anhält, wissen wir nicht.
epd: Was wäre noch erforderlich?
Seemann-Katz: Was zu tun ist: Eintreten. Eintreten in Parteien, Menschenrechtsorganisationen, Sozialverbände, Vereine und spenden oder mitmachen. Auch wir freuen uns über Spenden und Eintritte und neue Mitstreitende. Man muss sich aktiv in die Demokratie einbringen.
Was alle sofort tun können: In der Familie, im Bekanntenkreis, in der Nachbarschaft und am Arbeitsplatz widersprechen, wenn menschenverachtende und demokratiefeindliche Aussagen gemacht werden. Und gerne bei uns nachfragen, ob verallgemeinernde Behauptungen über Geflüchtete, Vorwürfe oder spezielle Vorgänge, die die Runde machen, überhaupt stimmen. Das ist in nahezu 100 Prozent nämlich nicht der Fall.
epd: „Remigration“ ist zum „Unwort des Jahres 2023“ gekürt worden. Und in Rostock gab es eine Ausschreibung der Stadt für die Stelle „Sachbearbeiter*in für Remigration“. Wie sollte mit dem Begriff „Remigration“ künftig umgegangen werden?
Seemann-Katz: Der Begriff „Remigration“ stammt aus der Migrationsforschung und wurde zunächst neutral für die Rückkehr ins Herkunftsland, aber auch für Weiterwanderung verwendet. Der Begriff ist aber verbrannt, seit rechtsextreme Bewegungen und Parteien ihn gekapert haben. Bereits 2018 hat ihn die Identitäre Bewegung für Abschiebung und Deportation verwendet. Die AfD hat dies aufgegriffen.
Die Hansestadt Rostock hätte dies wissen müssen. Der Begriff ist ebenso wie andere Wörter, die einem Bedeutungswandel unterliegen oder durch die Nutzung von Rechtsextremen negativ konnotiert sind, im Zusammenhang mit Behördenhandeln zu meiden, und insbesondere im Fall des Rostocker Migrationsamtes, weil die betreffende Abteilung gar nicht nur Abschiebungen organisiert, sondern auch andere Aufgaben übernimmt und berät.
epd: Es soll bald eine Bezahlkarte für Asylbewerber geben in Deutschland. Wie steht der Flüchtlingsrat MV dazu?
Seemann-Katz: Es ist nicht einfach, jetzt schon dazu Stellung zu beziehen, weil wir nicht wissen, wie die Karte konkret ausgestattet sein wird. Positiv sehen wir die Verwaltungsvereinfachung und die Sicherheit für die Geflüchteten, nicht mit Bargeld für einen ganzen Monat herumlaufen zu müssen. Am besten wäre es, den Geflüchteten von Anfang an ein Konto (Basiskonto) in Deutschland zu ermöglichen. Damit wären gleiche Rechte hergestellt, was eigentlich grundsätzlich gelten sollte.
Kritisch sehen wir bei der Einführung der Karte die Umsetzung des Datenschutzes, gegebenenfalls die Unmöglichkeit, beispielsweise Rechtsanwält:innen zu bezahlen. Oder die Frage nach der Umsetzung des Bundesverfassungsgerichtsurteils vom Juli 2012 zum persönlichen Bedarf und zur freien Verfügbarkeit. Hier könnten vielleicht Klagen auf die Behörden zukommen.
Und ganz negativ sehen wir die in der Debatte betonte Unterstellung, Geflüchtete würden Gelder in Größenordnung ins Ausland überweisen, um Schlepper zu bezahlen, oder die Betonung der Flüchtlingsabwehr, es gäbe einen Pull-Effekt. Dieser ist eine Annahme der Forschung der 1950er-Jahre und längst widerlegt. Jeder Satz dieser Debatte zahlt aktuell auf das Konto der AfD ein. Sie hat den Rahmen gesetzt.
epd: In Schwerin hatte die Polizei im Dezember 2023 versucht, zwei junge Asylbewerber aus Afghanistan aus dem Kirchenasyl abzuschieben. Welche Erwartungen haben Sie in diesem konkreten Fall jetzt an die Behörden?
Seemann-Katz: Zur Abschiebung aus dem Kirchenasyl fehlt mir die genaue Kenntnis über den aktuellen Stand. Aber allgemein kann ich sagen: Es handelte sich ja um einen Dublin-Fall, da die afghanische Familie einen Asylantrag gestellt hatte, obwohl sie eine Aufnahmezusage von Deutschland hatte. In den Dublin-Verfahren laufen Fristen, nach deren Ablauf das Verfahren auf die Bundesrepublik Deutschland übergeht.