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Der Bauer als „Öko-Manager“

In der Landwirtschaft hat sich viel verändert – und es muss sich in Zukunft noch einiges tun

Die Landwirtschaft ist ein Bereich, in dem sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten viel verändert hat. Diplom-Agraringenieur Dirk Hillerkus verfolgt das. Er ist Referent für nachhaltige Landwirtschaft im Fachbereich Nachhaltige Entwicklung in der Evangelischen Kirche von Westfalen. Mit Karin Ilgenfritz sprach er über diesen Wandel, darüber, wo Verbraucherinnen und Verbraucher Einfluss nehmen können und wie es weitergehen sollte.

 

Was kommt Ihnen in den Sinn, wenn Sie an das Erntedankfest denken?
Dirk Hillerkus: Wir danken dafür, dass wir wieder mit der Natur gelebt und gearbeitet haben. Wir sind dankbar, dass wir unsere Ernährung sichern können und dafür, dass ein voller Korb mit Gemüse, Obst und anderen landwirtschaftlichen Produkten vor dem Altar in der Kirche zum Erntedankgottesdienst steht, was in anderen Ländern nicht selbstverständlich ist.

Ist das Bewusstsein denn noch vorhanden – dass die Grundmittel für unsere Nahrung auf Feldern wachsen? Und wie viel Arbeit dahintersteckt?
Ich glaube, in kirchlichen und ländlichen Bereichen ist das Bewusstsein bei vielen Menschen vorhanden. Und zum Beispiel auch in den Kindertagesstätten, wo es oft Gärten gibt und mit den Kindern Gemüse angebaut wird. So entsteht Verständnis für säen, pflegen und ernten. Dem Teil der Bevölkerung, der beruflich mit Landwirtschaft zu tun hat, ist Erntedank ebenfalls wichtig.

Dieser Teil ist ja im Lauf der letzten Jahrzehnte immer kleiner geworden…
Der Bezug zwischen Landwirtschaft und Gesellschaft wird weniger. Es gibt längst nicht mehr so viele Bäuerinnen und Bauern wie das noch vor mehreren Jahren der Fall war. Die meisten Menschen kaufen ihre Lebensmittel im Supermarkt, wissen aber über die Entstehung von Lebensmittel und deren Produzenten kaum etwas. Das hat leider auch zu einer großen Diskrepanz geführt zwischen dem, was man in der Werbung sieht und wie es in der Realität auf den Höfen aussieht: Die Werbung zeigt idyllische Bauernhöfe und Kühe auf der Weide, am besten vor einer Berglandschaft. Das gibt es natürlich, aber das ist nicht die Regel. Es gibt eine naturnahe Landwirtschaft, aber auch eine sehr intensive Landwirtschaft mit großen Ackerflächen und Tierbeständen. Die Tendenz ging in den letzten Jahrzehnten zu immer größeren Einheiten.

Wie kann ich mir das vorstellen?
Kosten werden über Mengen kompensiert. Die Betriebe mussten immer größer werden, um mehr Umsatz zu erwirtschaften, was aber nicht unbedingt zu mehr Gewinn führte. Viele Betriebe kamen aus unterschiedlichen Gründen an ihre Grenzen und mussten aufhören. Inzwischen sind die Grenzen erreicht, man kann weder in der Tierhaltung noch im Pflanzenbau immer noch höhere Erträge und Leistungen erzielen. Die durch die intensive Landwirtschaft mitverursachten Umweltschäden sind hingegen beachtlich.

Das klingt bedrückend. Was muss passieren?
Wir brauchen eine Veränderung in alle Richtungen: Nicht der maximale Ertrag sollte angestrebt werden, sondern der optimale Ertrag. Und zwar immer angepasst an die Gegend – topographisch wie auch klimatisch. Wir müssen uns immer vor Augen halten, dass 30 Prozent der Lebensmittel weggeworfen werden. Damit der Landwirt die anfallenden Kosten bezahlen kann, brauchen wir eine höhere Wertschöpfung pro Produktionseinheit, die Mengenrückgang ausgleichen, also Qualität statt Menge oder auch „Weniger-aber-Besser-Strategie“. Es muss ein Umdenken in diese Richtung stattfinden. Das trifft auch für die Exportorientierung der Landwirtschaft zu.

Nämlich?
Wir importieren Futtermittel, die weite Wege zurücklegen, wie etwa Soja. Dazu kommt, dass für den Anbau von Soja Regenwald zerstört wird. Es gehen Flächen verloren, auf denen Nahrung für die Menschen vor Ort angebaut werden sollte. Im Gegenzug mästen wir mehr Schweine wie nötig, um dann einen Teil davon zu exportieren, etwa nach China.

Klingt, als wäre es sinnvoll, möglicherweise den eigenen Fleischkonsum zu reduzieren.
Auf jeden Fall. Wir verzehren rund 60 Kilogramm Fleisch und Wurst pro Kopf im Jahr in Deutschland. Das ist zu viel. Empfohlen sind 29 Kilogramm pro Person im Jahr.  Früher, als weniger Fleisch gegessen wurde, hatte der Sonntagsbraten eine Wertigkeit. Inzwischen ist Fleisch so billig, dass viele Menschen täglich dazu greifen. Die Wertschätzung ist verloren gegangen. Durch die intensive Tierhaltung entstehen enorme Umweltschäden.

Welche?
Zum Beispiel wird oft zu viel der anfallenden Gülle auf zu wenig Fläche ausgebracht. Dadurch steigt der Nitratgehalt im Grundwasser, was, um Trinkwasserqualität zu erreichen, gefiltert werden muss. Die Konsequenz sind steigende Trinkwasserpreise, die von den Verbrauchern bezahlt werden müssen.

Was müsste sich in diesem Bereich tun?
Wir brauchen eine Reduktion der Tierhaltung. Ein guter Schlüssel sind zwei Kühe pro Hektar, das heißt in der Fachsprache zwei Großvieheinheiten pro Hektar Land. Dann ist es möglich, ganzjährig Futter für die Tiere zu produzieren und die anfallende Gülle kann von der Fläche als Dünger aufgenommen und genutzt werden. Bei zertifizierten Bio-Betrieben sind zwei Großvieheinheiten pro Hektar vorgeschriebener Standard.

Dann kann ich als Verbraucherin meinen Teil dazu beitragen, indem ich Bio-Fleisch kaufe?
Es gibt drei Aspekte, auf die Verbraucherinnen und Verbraucher achten können. Erstens regional und saisonal einkaufen – also nicht Erdbeeren im Dezember. Der zweite Punkt, auf den man achten sollte, ist Bio-Produkte zu kaufen. Da gibt es verschiedene Zertifizierungen, wie Bioland, Demeter oder Naturland. Nicht zuletzt finde ich wichtig, Produkte aus fairem Handel zu kaufen, wie etwa Bananen, Kaffee, Tee, Honig oder Schokolade.

Woher weiß ich, ob etwas aus der Region kommt?
Es gibt auch verschiedene Regionalmarken, die oft ein eigenes Label besitzen und die Produkte sind damit gekennzeichnet. Außerdem sollte man in Läden und beim Metzger ruhig nachfragen, woher die Ware kommt. Es ist wichtig, dass der Handel für Transparenz sorgt.

Was muss außerdem geschehen, damit Landwirtschaft nachhaltig ist und kleinere Landwirte bestehen können?
Wir brauchen einen neuen Gesellschaftsvertrag zwischen Landwirtschaft und Gesellschaft. Wie die Verbraucher, müssen auch die Landwirte ihr Verhalten ändern, ebenso die Politik. EU-Zahlungen an Landwirte müssen zweckgebunden sein und zur Erhaltung und Verbesserung der öffentlichen Güter Boden, Wasser, Luft und einer artgerechten Tierhaltung beitragen. Der Bauer der Zukunft könnte deshalb auch als „Ökosystem-Manager“ bezeichnet werden. Produkte müssen einen entsprechenden Preis haben, um den Landwirten ein angemessenes Einkommen zu sichern. Es ist wichtig, dass wir uns auf die Märkte in der EU und Deutschland konzentrieren, und weniger auf den Weltmarkt. Wir können uns nicht mit Brasilien oder den USA vergleichen, wo andere Produktionsbedingungen herrschen. Herausheben möchte ich hier noch mal die Wichtigkeit der begrenzten Anzahl von Tieren pro Hektar, der artgerechten Tierhaltung und des Dialogs zwischen Landwirtschaft und Gesellschaft.

Welcher Dialog?
Dass Landwirte der Bevölkerung erklären, was sie tun und warum sie es tun. Die Bauern sind in einer Art Sandwich-Situation zwischen der Landwirtschaft vorgelagerten Industrie, wie zum Beispiel Saatgut, Dünger, Maschinen, und der nachgelagerten Industrie, wie Schlacht-, Verarbeitungsindustrie und dem Lebensmitteleinzelhandel/Discounter. EIn Beispiel: Bei der Milch erfahren die Landwirte erst am Monatsende, was sie für den gelieferten Liter bekommen und sind so den Molkereien ausgeliefert. Die Strategie des „Wachsens oder Weichens“, das heißt Kosten werden durch Steigerung der Mengenproduktion aufgefangen, hat zu der Form der heutigen intensiven Landwirtschaft mit all ihren sozialen und ökologischen Schäden und Herausforderungen geführt. Deshalb braucht es diesen Dialog und Veränderungsbereitschaft bei allen Beteiligten.

Was ist Ihre Prognose – wie wird es weitergehen?
Es wird weiterhin Bauern auf den Dörfern geben. Aber auch der Strukturwandel wird weitergehen. Es gibt auch junge Leute, die Landwirtschaft studieren und danach einen Hof führen möchten und danach suchen. Hier ist auch die Kirche gefragt, ihre landwirtschaftlichen Pachtflächen an diese jungen Menschen zu verpachten. In Zukunft wird es vermehrt andere Formen der Nahrungsmittelproduktion, wie Solidarische Landwirtschaft (SoLaWi) und Genossenschaften geben.

Welche Rolle kann die Kirche sonst noch spielen?
Die Bewahrung der Schöpfung, Frieden und Gerechtigkeit sind die Kernaufgaben der Kirche. So unterstützt die Kirche eine weitere Ökologisierung der Landwirtschaft. Sie stärkt in ihren Einrichtungen und Gemeinden die Beschaffung von regionalen Produkten, wenn möglich aus ökologischem Anbau und Produkte aus dem fairen Handel. In kirchlichen Einrichtungen gehören das Angebot von vegetarischen Gerichten und weniger Fleischangebote – dafür aber qualitativ hochwertiges –, zum Standard. Die Kirche arbeitet mit ihren Partnerkirchen im Süden gemeinsam daran, dass durch die Anwendung agrarökologischer Landbaumethoden die Nahrungsmittelproduktion und damit die Ernährungssicherheit der Menschen vor Ort stetig verbessert wird.