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Den inneren Kompass justieren

Der Bundesbeauftragte für jüdisches Leben, Felix Klein, fordert eine zügige Bestrafung antisemitischer Übergriffe. Nötig seien zudem ein verlässlicher Überblick über Art und Zahl der Taten sowie eine erhöhte Sensibilität in der Bevölkerung

KÖLN – Für eine zügige Sanktionierung antisemitischer Straftaten hat sich Felix Klein, der Bundesbeauftragte für jüdisches Leben in Deutschland, ausgesprochen. Die Hemmschwelle für antisemitische Äußerungen und Übergriffe sei in den vergangenen Monaten noch einmal deutlich erkennbar gesenkt worden, sagte Klein in einem Gespräch mit dem Kölner Regionalteil dieser Zeitung. Vorfälle wie der Angriff auf ein jüdisches Restaurant in Chemnitz im August seien nicht neu, weder für den Besitzer des Lokals noch für Deutschland, hingenommen oder vertuscht werden dürften sie aber nicht.
Der Jurist und Diplomat, der bis zu seiner Berufung in sein neues Amt zum 1. Mai dieses Jahres als Sonderbeauftragter für Beziehungen zu jüdischen Organisationen und Antisemitsmusfragen im Auswärtigen Amt tätig war, sprach sich dafür aus, zunächst einen verlässlichen Überblick über den Antisemitismus zu erstellen. Bisher scheitere die Bekämpfung solcher Taten oft daran, dass sie gar nicht erkannt würden. Die meisten jüdischen Familien in Deutschland aber erlebten Beleidigungen, Mobbing oder Gängeleien auf unterschiedliche Weise in ihrem Alltag.
Klein verwies darauf, dass es Delikte oberhalb und unterhalb der Strafbarkeitsgrenze gebe. Für Übergriffe unterhalb der Strafbarkeitsgrenze könne künftig ein gezieltes Meldesystem mit dem Titel „RIAS“ greifen. Unter der Internet-Adresse „https://report-antisemitism.de“ sei es seit 1. November möglich, antisemitische Vorfälle zu dokumentieren. Außerdem biete „RIAS“ Anlaufstellen in jedem Bundesland und bei Bedarf eine psychologische Betreuung der Betroffenen. „Wir müssen unseren inneren Kompass für so etwas justieren“, erklärte Klein. Und zwar genau „da, wo unsere Gesellschaft vor 80 Jahren versagt hat und man Gewalt hat laufen lassen“.
Der Bundesbeauftragte sprach von einer „tief in der kulturellen DNA verwurzelten Ablehnung und einem traditionellen Antisemitismus“ in Deutschland. Dabei sei ein „80:80-Widerspruch“ erkennbar: In der Wahrnehmung von 80 Prozent der deutschen nicht-jüdischen Bevölkerung gebe es heute so gut wie keine erkennbaren An- oder Übergriffe auf Juden mehr. Dagegen berichteten 80 Prozent der jüdischen Bevölkerungsanteile genau davon. Entsprechend werde ihnen oft Überempfindlichkeit attestiert.
Die Frage, ob Kritik an Israel  in Deutschland erlaubt sei, bejahte Klein. Allerdings sei es dabei nötig, dies „ohne antisemitische Narrative“ zu tun. Auch mahnende Vergleiche mit den Leiden des Krieges oder Ähnliches hätten darin nichts zu suchen.
Die jüngste Islamkonferenz bezeichnete Klein als „Meilenstein“, denn hier sei gemeinsam mit verschiedenen Gruppen das ebenfalls dringlicher werdende Thema Antisemitismus und Islam angesprochen worden.
Als evangelischer Christ, so erklärte Klein in dem Kölner UK-Gespräch, stimme er der evangelischen Stellungnahme zum 80. Jahrestag der Novemberpogrome vollkommen zu. Die großen evangelischen Kirchenbünde in Deutschland hatten darin jede Form von Judenhass verurteilt und betont: „Christlicher Glaube und Judenfeindschaft schließen einander aus. Antisemitismus ist Gotteslästerung“. UK