Im November jährt sich der Geburtstag von Friedrich Schleiermacher zum 250. Mal. Wozu beschäftigen wir uns heute noch mit Leben und Gedanken des Theologen?
Von Tanja Pilger-Janßen
Die Zeiten, in denen Friedrich Schleiermacher (1768–1834) lebte, ähneln unseren. Damals waren die Kirchen leer und die Theater voll – und Schleiermacher stellte sich dieser Herausforderung mit einladenden Gottesdiensten. Zudem war seine Lebenszeit geprägt von starken Umbrüchen in Europa: der Französischen Revolution, dem Zerfall des Staatskirchensystems und der Beginn der Säkularisation, der staatlichen Einziehung von kirchlichen Besitztümern.
Auch bei uns sind Kulturveranstaltungen meist besser besucht als Gottesdienste. Mit der Friedlichen Revolution, der deutschen Wiedervereinigung und dem Ende des Ost- West-Konfliktes haben wir ebenfalls einen Umbruch in Europa mit – erlebt. Und die Folgen der Säkularisation sind heute immer noch zu spüren. Auch die von Schleiermacher umgesetzte ansprechende Gottesdienstgestaltung ist eine bleibende Aufgabe und Herausforderung für uns in der Gegenwart.
Was genau macht diesen Mann aus, der am 21. November 1768, vor 250 Jahren, geboren wurde, und wozu lohnt es heute, sich mit ihm zu beschäftigen?
Schleiermacher war der Theologie, den Wissenschaften sowie den gesellschaftlichen Fragen seiner Zeit gegenüber sehr aufgeschlossen. Als er 1796 nach Berlin kam und als Prediger an der Charité seinen Dienst antrat, wurde er schnell zu einer Persönlichkeit des öffentlichen Lebens: Er verkehrte in den Salons der Stadt, zählte zu den Romantikern und brachte sich in das gesellschaftliche Leben ein. So gelang es ihm, Glaube und Religion salonfähig zu machen. Er verstand es, die Religion in die Gesellschaft zu bringen. In seinem ersten großen Hauptwerk „Über die Religion“, 1799 in Potsdam vollendet, macht er die Religion wieder anschlussfähig, weil er von der religiösen Erfahrung in jedem einzelnen Menschen ausgeht. Religion versteht er als ein Gefühl in jedem Menschen, sich abhängig zu fühlen. Was ist damit gemeint? Weder Sentimentalitäten oder Gefühlsduseleien, sondern ein unmittelbares Bewusstsein, sich als abhängig zu erfahren: dass unser Leben nicht verfügbar ist, wir es nicht in der Hand haben, sondern es empfangen. Dieses Bewusstsein über diese Abhängigkeit kommt aus unserer eigenen Lebenserfahrung: dass wir angewiesen sind auf Nahrung, Liebe und Zuwendung, dass unser Leben begrenzt und zerbrechlich ist. Glauben wurzelt in dieser Erfahrung, dass wir uns als abhängig erleben und darin in Beziehung zu Gott leben.
Genau in diesem Gefühl spricht Schleiermacher seine Mitmenschen an und baut darauf seine Verkündigung auf. Wichtig, wenn nicht gar wesentlich, ist dieser Zugang über die religiöse Erfahrung auch für uns heute in unseren kirchlichen Angeboten, Aufträgen und Diensten.
Nicht nur als Pfarrer in der Dreifaltigkeitsgemeinde in Berlin wirkte Schleiermacher, sondern auch als Professor der Theologie. Er war beteiligt an der Gründung der heutigen Humboldt-Universität zu Berlin 1810. Ein Gelehrter, der Praxis und Theorie miteinander zu verbinden wusste.
Er hat die wissenschaftliche Theologie maßgeblich geprägt, indem er die theoretische Reflexion über die Praxis kirchlichen Handelns in die wissenschaftlichen Fächer der Theologie integriert hat. Ein Auseinanderdriften von theologischer Theorie, die keinen Anhalt am kirchlichen Handeln hat, war für ihn undenkbar.
Des Weiteren trat Schleiermacher als Kirchenpolitiker auf – durchaus institutionskritisch, aber dennoch ein Gestalter kirchlichen Lebens. Die Vereinigung von lutherischen und reformierten Gemeinden in der Union von 1817 hat er maßgeblich vorangetrieben und ab 1808 in eigenen Veröffentlichungen vorbereitet. Er fungierte als erster Präses der vereinten Berliner Synode.