Von Constanze Broelemann
Herr Bischof Younan, wie ist die Situation der arabischen Christen in Jerusalem?Wenn wir von arabischen Christen sprechen, müssen wir von Land zu Land differenzieren. So ist die momentane Situation der Christen in Ägypten, die der Kopten, eine gänzlich andere, als die der Christen in Jerusalem. Inzwischen machen wir palästinensischen Christen weniger als zwei Prozent der Bevölkerung aus. In der Vergangenheit waren es regional 50 Prozent. Es gibt mehrere Gründe, warum Christen aus Palästina emigrieren. Ein Grund ist der fehlende Friede in der Region. Menschen haben kaum noch Hoffnung auf eine friedliche Lösung. Sie sind enttäuscht von der lokalen, europäischen und amerikanischen Politik, die keine Zwei-Staaten-Lösung mit den Grenzen von 1967 erreicht. Darüber hinaus sind die Maßnahmen der Besatzung für alle Palästinenser, auch für die, die in der Westbank leben, drangsalierend. Man braucht für alles eine Genehmigung. Mangelnde Jobs und das Anwachsen von politischem und religiösem Extremismus kommen noch erschwerend hinzu.
Wie wird Religion in Ihrem Land gelebt?In Palästina und Israel leben wir als drei Religionen zusammen. Als Juden, Christen und Moslems. Koexistenz ist normal für uns. Wenn wir die Politik beiseite nehmen – denn nur sie ist das Problem – kämpfen wir als Religionen nicht miteinander. Der Konflikt zwischen Jerusalem und Palästina beruht ausschließlich auf dem Kampf um Land und Wasser. Dennoch sind alle Menschen, die hier leben, stolz, dass sie nah an den Heiligen Orten sind.
Sie bemühen sich intensiv um einen Dialog zwischen Israelis und Palästinensern. Wie genau sieht Ihr Engagement aus?Wir gehen davon aus, dass wir alle – ganz gleich, ob Moslem, Christ oder Jude, ob Palästinenser oder Israeli Bürger eines Landes sind. Mit unterschiedlicher Religion, aber gleichen Rechten und Verantwortlichkeiten. Im Jahr 2005 haben wir uns mit Oberhäuptern der verschiedenen Religionen zusammengesetzt, um zu sehen, wie der andere wirklich ist und nicht, wie wir denken, dass der andere ist. Dann haben wir mit Hilfe von israelischen und palästinensischen Professoren sowie einem Team der amerikanischen Yale-University 700 israelische und 104 palästinensische Schulbücher durchgesehen, um zu schauen, was über den jeweils anderen gelehrt wird. Das Ergebnis: Zwar dämonisiert niemand den anderen, doch es werden zwei Geschichten erzählt. Die Herausforderung liegt nun darin, beide Geschichten als wahr zu akzeptieren.
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