Von Sibylle Sterzik (mit epd)
Frank D. hatte Glück. Er wartete nicht lange auf ein neues Herz. Trotzdem war es „die Hölle für ihn“, sagt seine Freundin Sabine Hoffmann. Er bekam kaum Luft und war so schwach, dass er sich kaum allein bewegen konnte.
Die medizinischen Möglichkeiten der Transplantation sind weit fortgeschritten. Dabei ist es in diesem Jahr gerade 70 Jahre her, dass die erste Organübertragung beim Menschen glückte. Am 17. Juni 1950 gelang Richard Lowler und James West im Little Company of Mary Hospital in Chicago die erste Transplantation einer Niere und damit die erste Organverpflanzung von Mensch zu Mensch in der Geschichte der Medizin.
Ein zweites Leben
Auch Frank D. bekam durch die Transplantation ein zweites Leben geschenkt. Es dauerte knapp vier Jahre. Für ihn war es eine zweite Geburt. „Er konnte noch sehen, dass seine Tochter Abitur gemacht hat“, erinnert sich Sabine Hoffmann. Bis er starb, sagte er jeden Tag: ,Es ist das größte Geschenk, das ich jemals bekommen habe.‘“ Eine weitere Transplantation überlebte er nicht.
Fast 10 000 Menschen warten in Deutschland auf ein Spenderorgan, um überleben zu können, unter ihnen viele Kinder. Darunter sind auch rund 1800 von Blindheit bedrohte Menschen, die auf der Warteliste für eine Augenhornhaut stehen. Dem stehen 932 Organspender im Jahr 2019 gegenüber. Deutschland ist damit Schlusslicht in Europa. Um die Zahl zu erhöhen, wollte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) ein Gesetz auf den Weg bringen, durch das jede Bürgerin und jeder Bürger automatisch Organspendende werden, es sei denn sie widersprechen.
Doch der Bundestag entschied anders. Er beschloss am 16. Januar mit einer deutlichen Mehrheit, dass es bei der bisherigen Zustimmungslösung bleiben soll – mit einigen Ergänzungen. Diese sehen vor, dass Bürgerinnen und Bürger stärker sensibilisiert werden sollen. Mindestens alle zehn Jahre sollen sie
direkt auf das Thema angesprochen werden. Wer ab dem Alter von 16 Jahren einen Personalausweis beantragt, ihn verlängert oder sich einen Pass besorgt, soll auf dem Amt Informationsmaterial bekommen. Beim Abholen soll man sich im Amt oder später zu Hause in ein neues Online-Register eintragen können – mit Ja oder Nein. Hausärzt*innen als Vertrauenspersonen sollen regelmäßig über die Organspende und Fragen dazu beraten.
Fazit: Organe und Gewebe dürfen nach dem Tod weiterhin nur entnommen werden, wenn die Person dem zu Lebzeiten zugestimmt hat, einen Organspendeausweis besitzt oder die Angehörigen der Entnahme zugestimmt haben. Das Warten auf ein Organ geht also weiter.
„Die Entscheidung macht mich traurig. Für die Menschen, die auf Organe warten, wurde damit keine Entscheidung getroffen, die ihre Situation verbessert“, sagt Sabine Hoffmann. Dabei seien 68 Prozent der Bevölkerung bereit, ein Organ zu spenden. Das haben Umfragen im Vorfeld der Abstimmung ergeben. Und in den Fällen, in denen ein Hirntod vorliegt und die für eine Organspende in Betracht kommen, liegt die Zustimmungsrate in Deutschland bei 75 Prozent. Dennoch besitzen trotz Spenderwillen nur 38 Prozent einen Organspendeausweis.
Vermutlich hatten neben den Kritikern in den Bundestagsfraktionen, vor allem der Grünen, FDP und Linken, an der Widerspruchslösung auch die Kirchen ihren Anteil an dieser Entscheidung. In einem Brief an alle Abgeordneten des Bundestags hatten evangelische und katholische Kirche „erhebliche rechtliche, ethische und seelsorgerliche“ Bedenken geäußert. Der Staat „würde damit tief in den Kernbereich der menschlichen Existenz eingreifen“, hieß es darin.
Kirchen begrüßen Beschluss
So begrüßten beide großen Kirchen denn auch die Entscheidung der Parlamentarier*innen in einer gemeinsamen Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz und der EKD. Auch die kirchlichen Wohlfahrtsverbände und der Deutsche Hospiz- und Palliativverband (DHPV) begrüßten, dass die Organspende freiwillig bleibt.
Diakoniepräsident Ulrich Lilie sagte, jetzt müsse es vor allem darum gehen, diese freiwillige Entscheidung in der Praxis qualifiziert umzusetzen, sodass sich viele Menschen gut beraten fühlen. Auch die Kirchen betonten in ihrer Erklärung, die Gesellschaft sei nun als Ganze herausgefordert, alles zu unterstützen, was die individuelle Organspendenbereitschaft befördert. Caritas-Präsident Peter Neher wies darauf hin, dass die Abläufe in den Krankenhäusern im Hinblick auf Betreuung und Information „erheblich verbessert werden können, damit mehr Organe gespendet werden“.
Enttäuscht zeigte sich der Chef des großen diakonischen Trägers Bethel, Ulrich Pohl. Er sagte dem epd, eine Chance sei vergeben worden, den schwer kranken Menschen, die auf eine Organspende warten, besser zu helfen als bisher. Scharfe Kritik übte auch der Leiter der Stiftung Eurotransplant, Bruno Meiser. Der Mediziner, der das Transplantationszentrum des Klinikums der Universität München leitet, erinnerte daran, dass vor 20 Jahren ähnliche Regelungen in den Niederlanden beschlossen wurden. Das habe zur niedrigsten Spenderate in ganz Europa geführt.
Das befürchtet auch Jens-Peter Erichsen. Der Pfarrer für Bildung und Ehrenamt im Kirchenkreis Oderland-Spree lebt seit 22 Jahren mit einer gespendeten Niere und findet es „schade, dass die Hoffnung vieler Betroffener, die auf eine Verkürzung der Wartezeit auf eine lebensrettende Transplantation durch die Widerspruchslösung gehofft hatten, nun nicht erfüllt wird“. Obwohl die Praxis in anderen Ländern zeige, wie hilfreich sie für Menschen sein könne, die auf eine Organtransplantation angewiesen sind, sei sie nicht mehrheitsfähig gewesen. Mit dem jetzigen Beschluss verbinde er „wenig Hoffnung auf eine signifikante Steigerung der Transplantationszahlen“.
Auch wenn das Ergebnis aus Sicht der Betroffenen mehr als enttäuschend ist: Viele Menschen beschäftigen sich nun mit dem Thema.
Aufgrund der vielen Klicks war die Internetseite „organspende-info.de“ zeitweise nicht erreichbar, wie die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), die die Seite betreibt, mitteilte. Um den Effekt geht es: sich zu informieren und zu entscheiden. Damit Ärzte im Notfall handeln können und Angehörige im Ernstfall nicht selbst die erdrückende Last der Entscheidung tragen müssen.