Beim Blick auf das hektische Menschengewimmel am Frankfurter Flughafen fällt es schwer zu glauben, dass ausgerechnet Tod und Trauer ganz zentrale Themen für die evangelische Flughafenseelsorgerin Bettina Klünemann sind. Auf Deutschlands größtem Flughafen arbeiten mehr als 80.000 Beschäftigte, was der Einwohnerzahl einer mittelgroßen Stadt entspricht. So kommt es auch vor, dass Beschäftigte plötzlich während der Arbeit einen tödlichen Herzinfarkt oder eine Hirnblutung erleiden.
„Ich werde nicht nur gerufen, wenn der Verstorbene evangelisch war“, sagt die Pfarrerin. Oft werde sie auch gebeten, Beschäftigten eine Todesnachricht zu überbringen oder Mitarbeitenden beizustehen, die nicht mit dem Tod von Angehörigen klarkommen.
Die Erfahrung von Fachleuten wie ihr: Viele Menschen tun sich schwer, mit dem Thema Trauer am Arbeitsplatz umzugehen – nicht nur Kollegen, sondern auch Vorgesetzte sind damit häufig überfordert. Aber es wächst auch das Bewusstsein, dass persönliche Lebenskrisen wie der Verlust eines nahestehenden Menschen nicht bloß reine Privatsache sind.
„Unangemessener Umgang mit Trauer kann schwerwiegende negative Auswirkungen auf das Unternehmen haben“, heißt es beispielsweise in einem Leitfaden der Handwerkskammer Koblenz. In Firmen, die das nicht ernst nähmen, drohten interne Konflikte und die „innere Kündigung“ von trauernden Mitarbeitern, die sich in ihrer Not nicht gesehen fühlten.
Jemand kommt bei einem Arbeitsunfall ums Leben oder verliert einen nahen Angehörigen – es sei wichtig, dass sich Führungskräfte auf solche Situationen vorbereiteten, appelliert Barbara Koch, die für die Handwerkskammer ehrenamtlich seit 15 Jahren ein Projektteam zur Trauerbegleitung betreut: „Das Schlimmste ist, nicht zu reagieren.“ Auch sei es keine gute Idee, wenn Vorgesetzte bei einem Trauerfall im Beschäftigtenkreis entweder gar kein Kondolenzschreiben verfassten oder ein unpersönliches Schreiben mit einigen Phrasen auf Firmenbriefbogen ausdrucken ließen.
„Wie oft höre ich die Rückmeldung: ‘Die Leute gehen mir aus dem Weg’“, sagt Koch über die Berichte von Ratsuchenden. Gleichzeitig werde in den meisten Fällen von Mitarbeitenden erwartet, dass sie spätestens nach einigen Wochen wieder volle Leistung bringen.
Rein rechtlich ist dies noch nicht einmal wirklich zu beanstanden. So fehlt in Deutschland eine klare gesetzliche Regelung zur bezahlten Freistellung bei Todesfällen im nahen Umfeld, Einzelheiten regeln oft Tarifverträge. In der chemischen Industrie etwa sind beim Tod des Ehepartners drei Tage Sonderurlaub vorgesehen, beim Tod des eigenen Kindes oder eines Elternteils zwei Tage.
„Natürlich sind zwei Tage nicht genug“, sagt Buchautorin Petra Sutor, die auch für den psychosozialen Dienst einer internationalen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft tätig ist. „Wenn der Partner stirbt oder ein Kind, kann niemand eine Fassade aufrechterhalten.“ In der Regel erhielten Trauernde allerdings ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen für einen längeren Zeitraum.
Entscheidend sei dann, wie die schrittweise Wiedereingliederung in den Beruf ablaufe. Es sei Aufgabe der Vorgesetzten, einen sinnvollen Plan zu erstellen: „Wenn Menschen in einer Ausnahmesituation des Lebens gut begleitet werden, ist es viel leichter, zurückzukommen.“
Sutor räumt ein, dass es schwer ist, in einer Trauersituation allen gerecht zu werden. Im Unterschied zum privaten Umfeld müsse eine Firma eben auch irgendwie weiterlaufen: „Ich kann nicht einfach sagen, alle müssen Rücksicht nehmen, und die Trauernden machen, was sie wollen.“ Auch gebe es viele Fälle, in denen Menschen sich eine längere berufliche Auszeit gar nicht leisten könnten, weil beispielsweise die Witwenrente nicht reiche.
Vielfach wünschten sich Beschäftigte nach einem Todesfall im Umfeld sogar eine schnelle Rückkehr in den Job mit voller Auslastung. Das könne helfen, die Trauer zu verarbeiten, sei aber auch nicht immer eine verantwortliche Lösung: Einen Busfahrer, der nach dem Tod der Ehefrau nachts kein Auge mehr zubekomme, könne man nicht einfach wieder hinter das Lenkrad setzen.
Am Frankfurter Flughafen hat sich in den vergangenen Jahren bereits eine sensible Trauerkultur entwickelt, wie Flughafenpfarrerin Klünemann berichtet. So findet dort jährlich eine Gedenkfeier für alle verstorbenen Beschäftigen statt, an der die Seelsorgerin beteiligt ist – ebenso wie ein Imam. Dass Trauernde am größten Luftfahrt-Drehkreuz der Republik möglicherweise besser aufgefangen werden als anderswo, hat nach Überzeugung der Pfarrerin auch mit der multinationalen Belegschaft zu tun: „In vielen anderen Kulturen gibt es eine größere Solidarität und Unterstützung.“ In vielen Herkunftsländern des Flughafenpersonals sei es einfach selbstverständlich, andere in Notsituationen aufzufangen.