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Das Leuchten von Herrnhut

Seit mehr als 160 Jahren werden in der sächsischen Kleinstadt Sterne angefertigt

Von Irmela Hennig

Das Bundeskanzleramt hat einen. Genauso wie der Berliner Dom und die Dresdner Frauenkirche. Konstanz schmückt sich flächendeckend damit, und zwar ganz in Gelb. In Trier dominiert Rot und in Oldenburg leuchten sie durchweg in Weiß – die Herrnhuter Sterne. 

Spätestens seit dem Ersten Advent kündigen sie vielerorts wieder das Weihnachtsfest an. Sogar bei manch eingefleischtem Fußballfan. Denn besondere Kombinationen wie blau-gelb, eigentlich die Farben der Oberlausitz, oder lila-weiß sind eben auch Mannschaftsfarben. Und so gebe es für einige Sterne Bestellungen aus Regionen, die man im über 120 Jahre alten Unternehmen, der Herrnhuter Sterne GmbH, so gar nicht erwartet hätte, wie Jacqueline Schröpel erzählt, zuständig für Marketing und Öffentlichkeitsarbeit.

Nur echt mit 25 Zacken

Sie kann viel erzählen über wachsendes Interesse in Europa und Übersee. Über regionale Vorlieben – der Norden Deutschlands kauft Sterne vor allem in Weiß, der Süden eher in Gelb und Rot – oder über die wachsende Gruppe der Sternesammler. Nicht zuletzt für diese gibt es Sonder­editionen, zum Beispiel in Neonfarben.

Der Ton kann variieren, das Grundprinzip nicht. Ein Herrnhuter Stern ist nur echt mit 25 Zacken. Und auch nur, wenn er aus Herrnhut kommt. Anderswo produzieren – zum Beispiel in Nordamerika, wo viele Kunden leben – sei für das ­Unternehmen nicht vorstellbar, sagt Jacqueline Schröpel. Wegen der Tradition, aber auch wegen der inzwischen 150 Arbeitsplätze. Die sind mitunter sogar Familiensache. So ­arbeiten mehrfach Mutter und Tochter im Betrieb. „Die Kinder haben hier zum Beispiel Ferienarbeit ­gemacht und dabei ihre Begeisterung für das Handwerk entdeckt“, so Jacqueline Schröpel.

Rund 780000 Sterne wurden dieses Jahr gefertigt. Das seien rund 60000 mehr als 2020. „Die Nachfrage war das ganze Jahr über wirklich sehr groß“, weiß Schröpel. Das sei ungewöhnlich. Ein Grund waren wohl die vielen Besucher in der Schauwerkstatt der Manufaktur. 

Außerdem vermutet die Unternehmenssprecherin, dass sich viele Menschen derzeit „etwas Gutes gönnen“, zum Beispiel, weil sie wegen Corona nicht verreist seien. Manche wollen es sich zu Hause vielleicht auch einfach schön machen. Jedenfalls würden auch andere Kunstgewerbehersteller die steigende Nachfrage spüren.

Für die Firma sei das eine Herausforderung, denn hier sind es nicht Maschinen, die Stück um Stück ausspucken. Es sind Menschen, vor allem Frauen, die zumindest jede Papier-Zacke von Hand fertigen. „Da können sie nicht einfach per Knopfdruck zehn Sterne mehr pro Stunde herstellen“, erklärt Schröpel.

Gebastelt von Missionarskindern

Dass vor allem Frauen die Herstellung übernehmen, hat Geschäfts­führer Oskar Scholz in einem Fernsehbeitrag einmal damit begründet, dass sie geduldiger seien. Vor 160 Jahren waren es allerdings Schülerinnen und Schüler, die die Sterne bastelten. Es handelte sich um Kinder von Missionaren, deren Eltern von der Herrnhuter Brüdergemeine in ferne Länder geschickt worden waren, um das Evangelium zu verkünden. Wenn deren Nachwuchs schulpflichtig wurde, kehrte er in die Heimat zurück und besuchte eines der Internate des Herrnhuter Schulwerks. 

Dort entwickelte ein Erzieher die Sterne-Bastelei, um den Jungen und Mädchen ein besseres geometrisches Verständnis zu vermitteln. Mit den fertigen Exemplaren seien die Internatsstuben geschmückt worden, ist in der Chronik der Sterne-Manufaktur nachzulesen. Die ersten Sterne waren in Weiß-Rot gehalten. Weiß symbolisierte die Reinheit und Rot das Blut von Jesus Christus.

Auch heute noch basteln Herrnhuter Familien daheim Sterne. Und der Hersteller lädt Kunden ein, es ihnen gleichzutun. So gibt es das Bastelset „Papierstern“. Dabei bekommen Interessierte noch nicht zusammengeklebte Zacken, können die bemalen und gestalten, schicken sie zurück ans Unternehmen. Dort werden sie für die Kunden zusammengesetzt. Wie das geht, können Besucher*innen unter anderem in der 2010 eröffneten Schauwerkstatt beobachten. 2019 – in Vor-Pandemie-Zeiten – lockte die mit ihrem Lichterglanz noch rund 64000 Besucher in ihre „heiligen Hallen“.

Sterne gegen Devisen

Der Vorläufer der heutigen Herrn­huter Sterne GmbH entstand 1897. Zu DDR-Zeiten wurde der Betrieb zunächst verstaatlicht. Weil die Fertigung per Hand aber nicht ins sozialistische Bild gepasst habe und es auch noch den direkten Bezug zur biblischen Sternengeschichte gab, kam es zur Rückübertragung an die Brüdergemeine. Trotzdem war es für Einheimische fast Glückssache, an einen echten Herrnhuter Stern zu kommen. Denn 90 Prozent der Ware seien damals gegen Devisen ins Ausland verkauft worden, so Jacqueline Schröpel.

Heute sorgen vor allem 1800 Fachhändler in Deutschland und ein Partner in den USA dafür, dass die Leuchten aus Kunststoff und Papier in Wohnzimmer, Gärten, Kulturhäuser, Straßenzüge, Einkaufspassagen und auf Kirchtürme kommen. In den letzten 10 bis 15 Jahren sei das Interesse deutlich gewachsen – man sei unter anderem auf Fachmessen aktiv. Ein Selbstläufer sei das aber nicht, wie Schröpel betont.

Nicht nur im und um den Betrieb herum leuchten die Sterne. Die Kleinstadt Herrnhut im Süden des Landkreises Görlitz schmückt sich selbstverständlich mit „ihren“ Sternen. Sie hängen in Bäumen, an Hausdächern, in Fenstern, vor dem Völkerkundemuseum und vor dem Bethaus – der Kirche der 1722 gegründeten Brüdergemeine.

Ohne sie wäre der Stern so vielleicht nicht entstanden. Die tiefe Frömmigkeit der Christen aus Mähren, die wegen ihres Glaubens vor nun fast 300 Jahren aus der katholischen Heimat nach Sachsen flohen, fand in quasi allen Bereichen Niederschlag, auch in der Bildung. Und so ist die Vorlage für das gezackte Leuchten der Stern von Bethlehem aus der Geschichte um die Weisen, die das Jesuskind besuchen. „Das zu vermitteln, liegt uns sehr am Herzen.“

Neues entsteht durch Interaktion

„Der Stern ist für uns nicht nur Dekoration“, so die Sprecherin. Deswegen befindet sich in jedem Sternenkarton ein Prospekt mit der Geschichte des Leuchtkörpers. 

Manche Käufer melden sich nach dem Lesen sogar zurück. Die enge Verbindung zum Kunden liefere auch Anregung für Neues. Denn Marktforschung im klassischen Sinn betreibe das Unternehmen nicht. Neue Produkte entstehen eher intuitiv. „Viele Ideen kommen von den Besuchern in der Schauwerkstatt und den Läden. Das alles lebt von der Interaktion“, so Schröpel.

Manches entdeckt der Hersteller auch im alten Herrnhuter Archiv. So die Kleistertechnik, mit der einige Sterne nun in limitierter und durchnummerierter Auflage verziert werden. Dies sei eine übliche Technik der Brüdergemeine gewesen, zum Beispiel für Bucheinbände und Hutschachteln. Dabei werde Kleister mit Farbe gemischt und auf die Papierzacken aufgetragen. Von Hand malen Mitarbeiterinnen dann Muster in diese Schicht. 

Ein Grund für das neue Angebot sei, dass „wir das Thema Papier wieder mehr in den Mittelpunkt rücken wollen“, erklärt Jacqueline Schröpel. Denn dort liege ein Großteil der Arbeitsplätze. In den letzten Jahren seien vor allem Kunststoff-Sterne sehr gefragt gewesen. 

Die werden mithilfe von Maschinen gespritzt; größere aus besonderen Folien gefertigt. Papier aber – das schaffe ein besonders schönes Licht.

www.herrnhuter-sterne.de