2023 hat eine Katastrophe die nächste gejagt: kein Frieden für die Ukraine, Israel und Gaza, das Klima kurz vorm Kollaps, Inflation und wirtschaftliche Ungewissheit. Und nun Weihnachten feiern?
In finsteren Zeiten kann das Weihnachtsfest eine Chance sein, das Gute in den Vordergrund zu rücken. Das sagt Marcus Täuber, Neurobiologe, Trainer und Buchautor. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) spricht er über den positiven Einfluss des Glaubens und gibt Tipps, wie man entspannt durch die Feiertage kommt.
KNA: Herr Täuber, ist es nicht zu viel verlangt, in diesen Zeiten in festliche Stimmung zu kommen?
Täuber: Unser Leben besteht aus Kontrasten, dem Leid und dem Schönen – dem Bösen und den Guten. Und das seit Beginn der Menschheit. Was unsere Zeit aber kennzeichnet: Wir werden mit Horrornews quasi 24/7 konfrontiert. Bei vielen Menschen führt das zu Ängsten, Nöten, Sorgen und Depressionen. Ich bin ein starker Verfechter von Psychohygiene – für mich ist die Pflege unserer Seele genauso bedeutsam wie die Pflege des Körpers.
KNA: Wie kann das konkret aussehen?
Täuber: Weihnachten bietet eine perfekte Gelegenheit, den Fokus mehr auf das Gute und Schöne zu richten: die Lichter, die Musik, die Treffen. Ich verstehe aber auch die, die zu Weihnachten traurig sind, weil sie geliebte Menschen verloren haben oder sich einsam fühlen. Vielleicht können diese Menschen in Weihnachten gerade auch in seiner religiösen-spirituellen Komponente Trost und Hoffnung finden.
Der Glaube an einen Sinn hinter den Dingen ist für uns Menschen sehr wichtig. Der Begründer der Psychoanalyse, Sigmund Freud, meinte vor über 100 Jahren, dass Glaube ein Ausdruck einer Neurose sei. Die moderne Psychologie rund um Martin Seligman hat dazu eine völlig andere Erkenntnis: Glaube ist eine Ressource, also ein Gefühl, das uns innerlich stärkt und unsere Gesundheit fördert.
KNA: Trotzdem können die von Ihnen angesprochenen Horrornews auf die Stimmung drücken.
Täuber: Abgesehen von den vielen schlimmen Ereignissen in der Welt gibt es ja noch andere Gründe, sich nicht auf Weihnachten zu freuen: Manche Menschen sind einfach “Feiermuffel” und haben schlicht keine Lust. Was können die machen, damit sie die Weihnachtsstimmung der anderen gut aushalten oder sich vielleicht sogar von ihr anstecken lassen?
KNA: Haben Sie Tipps?
Täuber: Es gibt viele Möglichkeiten, die Feiertage zu verbringen. Zum Beispiel in einer ruhigen Berghütte oder in einem Thermenhotel. Man kann Spaziergänge in den verschneiten Gegenden machen oder Obdachlosen Suppe ausschenken. Da ist für jeden etwas dabei, das Sinn macht, Kraft gibt und Gutes bewegt. Weihnachten ist mehr als Geschenke unter dem Christbaum und eine Gans auf dem Teller.
Wer Kinder hat, entkommt dem Weihnachtstrubel natürlich nicht. Statt auf Widerstand gegen die Umstände zu gehen, ist es für Körper und Geist vorteilhaft, die Situation zu akzeptieren und von den Kindern zu lernen. Sie erfreuen sich mit großen Augen an den Geschichten und Geschenken rund um Weihnachten. Eine solche Einstellung fühlt sich gut an. Insofern kann auch der größte Weihnachtsmuffel aus pragmatischen Gründen, statt zu schmollen, einfach mitmachen.
KNA: Bleiben die, denen die Lust aufs Feiern nicht vergangen ist, obwohl sie über 18 sind und die Nachrichten verfolgen. Was tun, wenn man im Päckchen-Gänse-Aufräumstress untergeht?
Täuber: Wir sind für unseren eigenen Stress selbst verantwortlich. Und zwar immer. Denn nicht die Arbeit stresst uns, sondern unsere Bewertung und der Druck, den wir uns selbst machen. Wir müssen es mit Päckchen, Gänsen und Aufräumen ja nicht übertreiben. Dieser Perfektionismus ist ein Ergebnis von Zwängen, die wir uns auferlegen, um ein wenig Anerkennung zu erlangen. Dahinter steckt letztlich unser Ego. Oder anders gesagt: eine Denkfalle unseres Gehirns.
Wenn wir diese Gedanken entlarven, uns selbst nicht zu wichtig nehmen und mit einer “gut ist gut genug”-Haltung an die Festtage gehen, wirkt das befreiend. Weihnachten feiern und entspannt bleiben? Das ist für mich kein Widerspruch, sondern eine Frage unserer Geisteshaltung. Von diesem positiven Spirit profitieren wir genauso wie auch unsere Mitmenschen.
KNA: In Ihrem Buch “Gute Gefühle” schreiben Sie, dass Ehrfurcht Entzündungen lindert und sogar Heilungsprozesse fördern kann. Wäre es also gesund, sich auf Weihnachten zu freuen und das kindliche Staunen neu zu üben?
Täuber: Ehrfurcht oder Staunen ist ein Gefühl, das nachweislich Entzündungsfaktoren im Körper senkt. Chronische Entzündungen sind ein enormes gesundheitliches Problem: Morbus Crohn, Rheuma oder Depressionen etwa.
Nutzen wir doch die positive Wirkung der Ehrfurcht auf unsere körperliche Gesundheit. Um von diesem Effekt zu profitieren, genügt eines: dieses Gefühl häufiger erleben. Das gelingt uns zum Beispiel durch Religion und Spiritualität. Man muss kein Christ sein, um fasziniert zu sein vom Leben Jesu – der vermutlich spektakulärsten Persönlichkeit der Menschheitsgeschichte. Aber auch durch das Betrachten einer schönen Winterlandschaft oder der Stände am Weihnachtsmarkt lässt sich Ehrfurcht erfahren – oder beim Betrachten des Sternenhimmels in einer klirrend kalten Winternacht.
KNA: Was tun Sie persönlich, um in Weihnachtsstimmung zu kommen?
Täuber: Ich habe in den vergangenen Jahren geliebte Menschen betrauert und vor Kurzem eine Trennung erfahren. Trotzdem lasse ich mich gerne von der weihnachtlichen Atmosphäre anstecken. Ich finde die besinnliche Musik und die vielen Lichter sehr schön. Gäbe es Weihnachten nicht, würde etwas in der Welt fehlen.
Allerdings habe ich auch eine sehr eigene Art, dieses Jahr Weihnachten zu begehen: mit Eisschwimmen. Ich liebe es, persönliche Grenzen auszuloten und dabei zu wachsen. Auf das klirrend kalte Wasser freue mich schon sehr. Denn seit vielen Jahren dusche ich regelmäßig kalt und weiß: Die Eiseskälte tut gut. Sie fördert unsere mentale Stärke und unsere körperliche Gesundheit.