Das Bundesverfassungsgericht hat 2020 ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben proklamiert. Doch woher sollen Sterbewillige die tödlichen Medikamente zum Suizid bekommen? Das Bundesverwaltungsgericht sucht Antworten.
Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig entscheidet am Dienstag darüber, ob der Staat Sterbewilligen Zugang zu Natrium-Pentobarbital verschaffen muss. Bislang hat das zuständige Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte in Bonn alle Anträge abgelehnt. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) beantwortet wichtige Fragen zu dem Verfahren, das Rechtsgeschichte schreiben könnte.
Zwei schwerkranke Männer wollen vom Staat den Zugang zu einem Mittel erstreiten, das ihnen einen Suizid ermöglichen würde. Beide hatten schon 2017 beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in Bonn die Erlaubnis zum Erwerb von Natrium-Pentobarbital beantragt. Weitere 243 Personen haben einen ähnlichen Antrag gestellt. Das Bundesinstitut lehnte eine Vergabe jedoch in allen bisher entschiedenen Fällen ab. Der Fall ist auch deshalb kompliziert, weil die beiden Kläger das Medikament nicht direkt einnehmen, sondern auf Vorrat erhalten wollen, damit sie bei einer dramatischen Verschlechterung ihrer Gesundheit nicht lange leiden müssen. Damit stellt sich also auch die Frage, ob man ein solch tödliches Mittel auf Vorrat in Privatwohnungen verwahren darf und kann.
Das Bundesamt argumentiert, dass Natrium-Pentobarbital unter das Betäubungsmittelgesetz falle. Und das erlaube eine Vergabe solcher Medikamente nur für die Therapie und Linderung von Krankheiten. Damit ist auch eine Vergabe durch ärztliches Rezept rechtlich nicht möglich. Durch das Nein sollten auch voreilige und nicht frei-verantwortliche Selbsttötungen verhindert werden. Der frühere Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), der eine entsprechende Anweisung gab, argumentierte zudem, dass der Staat keine Tötungsmittel vergeben dürfe und nicht über Leben und Tod entscheiden könne. Spahn und das BfArM stellten sich damit bewusst auch gegen eine Entscheidung desselben Bundesverwaltungsgerichts: Es hatte 2017 entschieden, dass der Staat die Vergabe von Suizidmitteln “in extremen Notlagen” nicht verweigern dürfe.
Indirekt ja. Das Bundesverfassungsgericht hatte Anfang 2020 das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe gekippt und damit grundsätzlich die Tätigkeit von Sterbehilfe-Vereinen zugelassen. Zugleich formulierten die Karlsruher Richter ein sehr weitreichendes Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben – und zwar unabhängig von Alter oder Krankheit. Die Kläger in Leipzig berufen sich auch auf dieses Urteil.
Grund ist der offenkundige Widerspruch zwischen dem Recht auf selbstbestimmtes Sterben und dem Schutz vor Missbrauch von Betäubungsmitteln. Sowohl das Verwaltungsgericht Köln als auch das Oberverwaltungsgericht Münster und das Bundesverfassungsgericht lehnten in verschiedenen Fällen eine staatliche Vergabe des Medikaments ab. Sie verwiesen darauf, dass die Herausgabe todbringender Mittel dem Zweck des Betäubungsmittelgesetzes widerspreche. Durch dieses Verbot werde auch der staatlichen Schutzpflicht für das Leben entsprochen.
Die Ironie der Geschichte ist, dass sowohl die Münsteraner als auch die Karlsruher Richter bei ihrem Nein auf das sehr liberale Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Suizidbeihilfe verweisen: Suizidwillige hätten seit dem Urteil die Möglichkeit, ihr Recht auf Selbsttötung wahrzunehmen. Es gebe Ärzte, die tödlich wirkende Arzneimittel verschrieben und andere Unterstützungshandlungen vornähmen. Auch geschäftsmäßige Angebote der Suizidhilfe durch Sterbehilfeorganisationen wie Dignitas oder Exit seien seit dem Urteil wieder verfügbar.
Die Kläger wollen sich ausdrücklich nicht an Sterbehilfeorganisationen wenden, wie ihr Anwalt betont. Sie wollen beim möglichen Suizid nicht auf Organisationen und Ärzte angewiesen sein.
Das Bundesverfassungsgericht hatte in seinem Urteil zur Suizidbeihilfe vorgeschlagen, dass der Staat einen rechtlichen Rahmen schafft, der einerseits das Recht auf einen selbstbestimmten Tod ermöglicht, andererseits aber verhindert, dass alte und schwerstkranke Menschen zum Suizid gedrängt werden, weil sie sich als Last empfinden. Dazu lagen dem Bundestag im Sommer zwei parteiübergreifende Gesetzentwürfe vor, die aber beide keine Mehrheit erhielten. Derzeit beraten verschiedene Politiker über einen neuen Anlauf. Mit Blick auf ein Suizid-Mittel wäre auch eine Änderung des Betäubungsmittelgesetzes denkbar.