Nairobi – Wenn der kenianische Wissenschaftler Turoop Losenge in sein Heimatdorf kommt, geht er als erstes in das Gehege der Schafe und Ziegen. Tagsüber werden die Tiere von Kindern oder Frauen im Busch gehütet, abends zu den Hütten geholt. Rund 500 Schafe und Ziegen hat die große Familie, ein Zehntel davon gehört Losenge. „Weil ich nicht mehr alle von ihnen erkenne, hält mich meine Familie für geistig etwas minder bemittelt“, sagt der 44-jährige Professor für Gartenbau mit einem Lächeln – er kennt ja die kulturellen Werte seines Volkes, der Samburu.
Losenge unterrichtet in Juja in der Nähe der Hauptstadt Nairobi. Von dort sind es 400 Kilometer bis Ngeriyoi, wo seine Eltern und etliche weitere Verwandte immer noch leben. Die Entfernung ist nicht nur eine geographische Größe, sondern auch die Distanz zwischen zwei völlig unterschiedlichen Lebenswelten: dem traditionellen Leben der halbsesshaften Samburu-Nomaden und dem hochtourigen, internationalen Leben der Wissenschaft.
Zwei völlig unterschiedliche Lebenswelten
So ist Losenge zum Beispiel häufig in Deutschland, seit er dank einem Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes 1997 in Hannover seinen Master machte. Derzeit forscht seine Jomo-Kenyatta-Hochschule gemeinsam mit der Humboldt-Universität in Berlin zum biologischen Schutz von afrikanischen Blattpflanzen.
Im späten Licht des Abends steht Losenges Vater Lesaoti neben ihm. Die Frage nach seinem genauen Alter wischt der zierliche Mann mit seinem Fliegenwedel beiseite. Vielleicht knapp über 80. Vielleicht auch knapp über 90. Der Alte hat seinen Sohn in Juja besucht, heute kam er mit ihm zurück nach Ngeriyoi. Lesaoti strahlt, er fühlt sich zwischen den Tieren sichtlich wohl. An den Betten in der Stadt hat er aber auf seine alten Tage Gefallen gefunden. Direkt nach der Ankunft bittet er seinen Sohn, in der nächsten Stadt Marlala am besten gleich morgen für ihn eine Matratze zu kaufen, die will er dann in seine traditionelle Hütte zwängen.
Seine Eltern sind
Analphabeten
Während Losenges Blick über die Tiere streift, steht auch seine Mutter plötzlich neben ihm. Keine Umarmung, kaum ein Blick zur Begrüßung, dabei war Losenge seit gut zwei Monaten nicht mehr zu Hause. „Samburu zeigen keine Gefühle“, erklärt er. Er selbst hat sich darin durch den Einfluss anderer Kulturen verändert.
Was ihr Sohn beruflich macht, haben Losenges Eltern bis heute nicht richtig verstanden. „Sie halten mich für einen Lehrer“, sagt der Sohn. Dass es Universitäten gibt und was Professoren sind, hat sich Losenges Familie nie erschlossen. Seine Eltern sind Analphabeten, ebenso wie die meisten anderen Angehörigen. Dass er selber in die Schule durfte, verdankt Losenge dem Drängen der katholischen Missionare, die damals von jeder Familie einen Schüler forderten. In Losenges Erinnerung wurde er ausgesucht, „weil ich beim Hüten der Ziegen so schlecht war“.
Jeder Schritt führte Losenge weiter weg von zu Hause – schon eine höhere Schule ist von Ngeriyoi nicht täglich zu erreichen. Dass er Gartenbau studierte, war nicht seine Wahl. „Ich wollte am liebsten Jura oder Ingenieurswesen studieren, dafür reichte mein Durchschnitt nicht. Da bekam ich den Platz im Gartenbau zugewiesen.“ Bald fing er Feuer für das Fach. „Und plötzlich wusste ich, dass ich Professor werden will.“
Noch etwas wurde ihm wenig später klar: dass er nur eine gebildete Frau heiraten möchte, auch wenn unter den Samburu-Frauen Bildung noch seltener ist als unter Männern. „Ich wollte jemanden, der meinen Weg versteht und mit dem ich reden kann.“ Ähnliches dachte sich Susan, seine heutige Frau. Die 32-Jährige wurde als Kind von den anderen verspottet, weil sie sogar noch beim Hüten der Ziegen Bücher mit sich herumtrug.
Sie will vielleicht
promovieren