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Bremer Ausstellung zeigt die Hölle der Nervenärzte

Die Bremer Ausstellung „Krieg in der Seele“ beleuchtet Schicksale traumatisierter Soldaten im Ersten Weltkrieg und zeigt die erschreckenden Methoden der damaligen Therapieversuche.

Der Horror auf dem Schlachtfeld war für viele Soldaten erst der Anfang einer Tortur
Der Horror auf dem Schlachtfeld war für viele Soldaten erst der Anfang einer TorturImago / Gemini Collection

Giftgas, Flammenwerfer, permanentes Trommelfeuer, tödliche Angriffe aus der Luft, massenhaftes Sterben – die Brutalität des Ersten Weltkrieges war so groß, dass viele deutsche Soldaten daran regelrecht irre wurden. Rund 600 000 von ihnen erkrankten psychisch, hatten keine Kontrolle mehr über ihren zitternden Körper, verstummten, waren für andere nicht mehr zugänglich. Davon erzählt die Sonderausstellung „Krieg in der Seele“ des Krankenhaus-Museums Bremen.

Stellvertretend für viele wird die Geschichte des Hamburgers Willi Schendel erzählt, der im Juli 1916 bei einem Angriff in Nord-Frankreich verschüttet wurde. Er hat seine Erlebnisse aufgeschrieben: „Die Granaten schlugen ein und nahmen den Kopf des Kameraden mit. Ich kam dann in einen Graben hinein, wo alle Toten lagen. Dann habe ich die Erinnerung verloren.“ Diagnose der Ärzte im St. Jürgen-Asyl, damals die zentrale psychiatrische Klinik in Bremen: Schreckpsychose.

Soldaten sollten schnell zurück an die Front

Wie in 90  Prozent solcher Fälle wurde als Ursache nicht die Kriegserlebnisse angesehen, sondern eine vermeintliche Vorerkrankung. Hätten die Ärzte einen Zusammenhang mit dem Krieg festgestellt, hätte Schendel Anspruch auf eine Rente gehabt. Das Ziel aber war, die Soldaten möglichst schnell wieder an die Front zu schicken. Schendel wurde zur Arbeitstherapie eingesetzt, nach einem halben Jahr galt er als „arbeitsverwendungsfähig“.

 

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Auch wenn die Kriegserlebnisse bei der Therapie nicht thematisiert wurden, hatte Schendel noch Glück: Ärzten fügten psychisch kranken Soldaten oft bewusst Schmerzen in Form von Elektroschocks zu, bei der auch Todesopfer in Kauf genommen wurden. In der Ausstellung ist ein so genanntes Pantostat zu sehen, ein Reizstromgerät, dass die Kriegszitterer zur Ruhe bringen sollte.

Erstickungsgeräte zur Entlarvung von Simulanten

Auch die Abbildung der Muckschen Kehlkopfsonde wird gezeigt – ein vom Neurologen Otto Muck erfundenes Verfahren, bei dem eine Metallkugel in den Rachen eingeführt wurde, die die Luftzufuhr unterbrach. Die bewusst erzeugte Erstickungsangst sollte Angstschreie auslösen und damit den stummen Patienten zum Sprechen bringen. Hinter diesem Verfahren steckte die Überzeugung, dass die meisten Soldaten nur simulieren.

Die Zeichnung „Die Gesundbeter“ von George Grosz von 1920 bringt diese Haltung auf den Punkt: Ein Arzt hält sein Ohr an einen verwesenden Körper und kommt im Kreis der Musterungskommission zum Urteil: kv – kriegsverwendungsfähig. Tatsächlich waren viele Soldaten ihr Leben lang traumatisiert.

Auch die Helfenden litten unter dem Krieg, darunter Elisabeth Zurbonsen, die als Hilfskrankenschwester im Reserve-Lazarett Bremerhaven arbeitet, wo sie täglich verstümmelte Soldaten sah. Als ihr Ehemann, den sie 1915 geheiratet hatte, kurze Zeit später bei Kämpfen an der Front schwer verwundet wird, tritt bei ihr eine psychische Erkrankung auf. In den Akten findet sich die Diagnose: Manie, Hysterie, Irresein. Auch sie soll durch eine Arbeitstherapie wieder an den Alltag gewöhnt werden. Sie wird nach einiger Zeit entlassen, bekommt 1918 ein Kind – und bricht zwei Monate später bei der Nachricht über den Tod ihres Mannes zusammen. Bis 1929 wird sie 38 Mal im St. Jürgen-Asyl aufgenommen.

Prothesen und Gehhilfen

Neben Texttafeln werden historische Gegenstände wie Prothesen, Gehhilfen aus Holz oder Fachbücher gezeigt. So wird die Einarmfibel ausgestellt, die auf rund 100 Abbildungen demonstriert, wie man mit nur einem Arm eine Jacke anziehen oder handwerkliche Arbeiten ausführen kann. Ein Film von 1917 präsentiert froh blickende kriegsverletzte deutsche Soldaten in Begleitung von lächelnden Krankenschwestern beim Spaziergang durch einen idyllischen Lazarettgarten – in diesem Streifen sucht man Männer mit amputierten Gliedmaßen oder zerstörtem Gesicht vergeblich.

Erst 1980 wurde die posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) in den internationalen Katalog der Krankheiten aufgenommen. Die Bundeswehr spricht heute von jährlich rund 200 PTBS-Neuerkrankungen. Nach ihren Angaben leiden drei Prozent aller Soldaten nach einem Einsatz unter PTBS, die Hälfte der Fälle wird erkannt.

Die Ausstellung ist bis 9. März zu sehen im Krankenhaus-Museum Bremen, Züricher Str. 40, Mittwoch bis Sonntag jeweils 11 bis 18 Uhr.