Dietrich Bonhoeffer (1906-1945) war einer der prägendsten evangelischen Theologen des 20. Jahrhunderts. Von Anfang an kritisierte er das nationalsozialistische Regime für dessen Rassenpolitik und schloss sich dem Widerstand gegen Adolf Hitler an. Kurz vor Kriegsende wurde er am 9. April 1945 auf Hitlers Befehl im Konzentrationslager Flossenbürg ermordet. Zum 80. Todestag Bonhoeffers gedenken Landeskirche, Dekanat und Gedenkstätte seiner mit einer Reihe von Veranstaltungen, „die so vielschichtig sind wie der Theologe selbst“, sagte der Weidener evangelische Dekan Thomas Guba im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Bonhoeffers Konzeption einer öffentlichen Theologie könne bis heute Vorbildfunktion haben.
epd: Herr Guba, die evangelische Landeskirche gedenkt Bonhoeffers zu seinem 80. Todestag mit einer Veranstaltungsreihe vom 3. bis 10. April in der KZ-Gedenkstätte. Was können Sie besonders empfehlen?
Thomas Guba: Am 6. April findet ein Gedenkgottesdienst mit Landesbischof Christian Kopp statt, der um 10 Uhr im Bayerischen Fernsehen übertragen wird. Etwa 700 Gäste können den Gottesdienst in einem Zelt auf dem Appellplatz in Flossenbürg live miterleben. Es werden viele junge Menschen dabei sein, denn die Jugendbegegnung findet an diesem Tag ihren Abschluss. Am Abend des 6. April dann tritt in der Michaelskirche in Weiden das Ensemble Nobiles mit dem Gewandhauschor Leipzig auf. Sie führen Motetten nach Texten von Dietrich Bonhoeffer auf, die von sechs Komponisten aus fünf Ländern komponiert wurden. Auch das Konzert ist für alle Altersklassen gedacht.
epd: Wie diese Komposition nahm auch Bonhoeffer viele ganz unterschiedliche Einflüsse in seine Gedanken- und Glaubenswelt auf. Inwiefern war Bonhoeffer ein Mensch, der europäisch dachte und in der Weltkirche zuhause war?
Guba: Wenn man sich näher mit ihm befasst, fällt auf, dass er unheimlich breit aufgestellt war und mit so vielen Menschen seiner Zeit, in der man nicht mal so schnell irgendwo hinfliegen konnte, Kontakte gepflegt hat. Schon in jungen Jahren war er als Pfarrer in den USA, Schweden und England aktiv und vernetzt. Diese Verbindungen sind etwas, was uns auch als Kirche prägt. Wir dürfen sie nicht aufgeben, auch nicht in Zeiten, in denen in manchen Ländern die Entwicklungshilfen gekürzt werden. Das ist etwas, was Bonhoeffer uns – nicht direkt, aber doch – ins Stammbuch geschrieben hat.
epd: Einer seiner meistzitierten Sätze ist, dass man „dem Rad in die Speichen greifen“ müsse, inwiefern ist der heute noch aktuell?
Guba: Bonhoeffer hat es im politischen Kontext gebraucht. Ein Mensch, der unterwegs ist, auch damals schon mit Auto, und auf eine Menschenmenge zufährt, dass man dies verhindern muss. Was mit dem Attentat in München eine traurige Realität gewonnen hat, aber Bonhoeffer hat es politisch gemeint. Ich glaube, wir kommen immer stärker in eine Situation, in denen wir als Kirche die politische Situation in unserem Land sehr gut beobachten müssen und auch deutlich Nein sagen müssen zu Entwicklungen am rechten Rand unserer politischen Landschaft. Ich finde es sehr gut und wichtig, dass wir bei all den Initiativen für mehr Demokratie als Kirche präsent sind und uns auch mit einbringen.
epd: Welchen Standpunkt würde Bonhoeffer in der heutigen Migrationsdebatte vertreten?
Guba: Bonhoeffer hatte vermutlich noch nicht so stark andere Religionen im Blick, in Deutschland gab es entweder Christinnen und Christen oder Atheisten. Aber er würde gut biblisch sagen: Kümmert euch und gebt den Fremden ein Zuhause oder seid ihnen zumindest nahe. Als einer der ersten Europäer würde er wahrscheinlich nicht auf Alleingänge setzen, sondern auf gemeinsame Lösungen in einer Gemeinschaft wie der Europäischen Union.
epd: Bonhoeffer gilt als Vertreter einer öffentlichen Theologie. Welches Gewicht hat sie in einer kleiner werdenden Kirche?
Guba: Kirche steht in dieser Welt, ist Teil dieser Welt und für alle Menschen da, die in diesem Land in einer Gesellschaft leben. Wir sind ein gesellschaftlicher Player, auch wenn unsere Akzeptanz bei vielen weniger wird, müssen wir uns um die Menschen kümmern. Ich könnte mir keine andere Theologie vorstellen als genau diese öffentliche Theologie. Es ist keine aufgesetzte, keine Regeltheologie, sondern wir wirken in die Gesellschaft hinein, nehmen Dinge auf und spiegeln sie wider, auch wenn wir uns dabei Dinge anhören müssen, was Menschen so alles nicht gefällt. Das Standing haben wir. Es darf sich auch etwas verändern, wenn wir neue Erkenntnisse haben. All das ist öffentliche Theologie im Sinne Bonhoeffers.
epd: Wer sich tiefer mit Bonhoeffer beschäftigen will, kann dies bei einem internationalen Symposium mit dem Titel „Wem gehört Bonhoeffer“ tun. Warum ist diese Einordnung notwendig?
Guba: Da geht es um die Bonhoeffer-Rezeption der jüngsten Zeit und die Frage, wie Bonhoeffer in den unterschiedlichen Kontexten gesehen wird. Wir gehen mit Theologen aus aller Welt der Frage nach, inwiefern er auch falsch gesehen und von Menschen für ihre Zwecke genutzt und manipuliert wird. Der frühere Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm wird beim Symposium, das im Wesentlichen unter seiner Regie entstanden ist, dabei sein. (1104/01.04.2025)