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Ben Becker. Bibel. Passt nicht! Oder doch?

Der in Berlin lebende Schauspieler und Sänger Ben Becker im Gespräch über sein neues Bühnenprogramm „Ich, Judas“, das er in Kirchen aufführt, sein Verhältnis zur Bibel, zum Glauben, Reaktionen auf seine künstlerische Arbeit und weitere Bibel-Pläne

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In seinem neuen Bühnenprogramm „Ich, Judas – ­Einer unter euch wird mich verraten!“, das im vergan­genen November im Berliner Dom Premiere feierte, setzt sich der Schauspieler und Sänger Ben Becker erneut mit der Bibel auseinander. Auf seiner Deutschlandtournee macht der 51-jährige Künstler, der in Berlin lebt, damit auch in Nordrhein-Westfalen Halt, am 17. März in Düsseldorf und am 18. März in Bochum. Über die Inszenierung, seine Beweggründe, sein Verhältnis zur Bibel, zum christlichen Glauben sowie Reaktionen und weitere Bibel-Pläne sprach Uwe Herrmann mit dem gebürtigen Bremer in Bochum.

Nach Ihrem Bühnenprogramm „Die Bibel – eine gesprochene Symphonie“, mit dem Sie vor einigen Jahren Furore machten, setzen Sie sich jetzt mit „Ich, Judas“ erneut mit dem Buch der Bücher auseinander. Wie kam es überhaupt dazu, dass biblische Texte auf Ihr Interesse stießen, und wie stehen Sie zum christlichen Glauben?
Hallelluja. Darf ich Halleluja sagen?

Ja, natürlich. Nur zu.
Also ich komme ja aus einem sogenannten 68er-Haushalt, stamme aus einer Künstler- und Theaterfamilie.

Heißt?
Also bei mir zu Hause hat Religion eigentlich nie eine wirkliche Rolle gespielt. Es sei denn wir bezeichnen die kommunistische Idee – und damit meine ich nicht das, was real existierender Sozialismus genannt wird – als Religion, was mein Vater (Rolf Becker, Anmerkung der Redaktion) damals getan hätte.
Somit hatte ich eigentlich auch nie einen Zugang zur christlichen Lehre oder zum christlichen Glauben oder sowas.

Klingt so, als passten Ben Becker und Bibel eigentlich nicht zusammen. Wie passierte es dann doch?
Also ich muss Ihnen da ganz ehrlich sagen, dass ich bis heute nicht weiß, was mich da geritten hat, sie unter all meinen Büchern meiner Bibliothek hervorzuziehen und darin zu lesen. Denn abgesehen davon dass mein leider verstorbener Papa Otto Sander (der 2013 verstorbene Schauspieler war sein Stiefvater, Anmerkung der Redaktion) – dem ich gestern übrigens hier in Bochum an dem nach ihm benannten Otto-Sander-Platz noch eine Schweigeminute gewidmet habe –, also abgesehen davon, dass der immer zu Weihnachten die Weihnachtsgeschichte aus dem Lukasevangelium gelesen hat, was ich sehr vermisse – deswegen möchte ich auch nicht mehr Weihnachten feiern ohne meinen Papa –, hatte ich zur Bibel keinen Bezug.

Gläubige Menschen sprechen da gerne von göttlicher Fügung.
Bei mir war es wohl eher meine stete Suche nach literarischen Stoffen, die ich vermitteln kann, die ich gerne Leuten vorlesen möchte. Und die Bibel war so ein Stoff. Dazu kam, dass ich die Gelegenheit sah, Dolly Parton mit ihrem, mich schwer beeindruckenden Song „He‘s alive“*) auf die Bühne zu bringen.

Wie hat denn Ihr Umfeld reagiert?
Na, die haben gedacht, ich spinne. Haben sich gefragt, was mit mir denn jetzt los ist.

Hat Sie scheinbar nicht groß gekratzt.
Wenn ich mich, wie hier geschehen, erst einmal in eine Idee verbeiße…

Könnte man in Sachen Bibel da von einem Schlüsselerlebnis sprechen?
Also Schlüsselerlebnis will ich jetzt nicht sagen. Auf jeden Fall aber war es doch eine ernste Auseinandersetzung, die ich auch heute noch führe.
Was ich dabei besonders spannend finde an der christlichen Lehre – und da kommt der naive kleine Junge in mir durch, was ich aber dennoch sehr, sehr ernst meine –, ist der hier wiederkehrende Gedanke an „Alle Menschen werden Brüder“, den ich sowohl in den Gedanken meines leiblichen Vaters, also wenn Sie so wollen auch in der kommunistischen Lehre mit ihrer Idee eines Urkommunismus, den es mal gegeben hat, sehe, als auch in der christlichen Lehre.

Was folgern Sie daraus?
Das bedeutet: Wir sind aufgefordert, aufeinander zuzugehen, Verständnis füreinander zu haben, wir sind gefordert, uns dafür einzusetzen. Stattdessen – und an dieser Stelle werde ich jetzt mal ein bisschen frech – wird immer wieder jemand Übersinnliches gesucht, wo wir alles abladen, so nach dem Motto „Gott wird‘s schon richten“. Das finde ich ein bisschen überheblich.
Dabei hat der Menschensohn, wie der Mann sich ja selber nennt – was ganz spannend ist –, deutlich gesagt: Fangt doch mal bei euch an. Geht auf euren Nachbarn zu.
Sehr ergreifend erlebt habe ich das übrigens in meiner ersten katholischen Messe, als die Leute plötzlich alle aufstehen, sich dabei umdrehen und zueinander sagen „Friede sei mit dir, Bruder“. Da musste ich weinen.

Weinen – aber aus einem ganz anderen Grund – musste am Ende auch Judas – und damit komme ich auf Ihr aktuelles Bühnenprogramm „Ich, Judas“ zu sprechen, mit dem Sie derzeit bundesweit unterwegs sind. Das Neue Testament beschreibt ihn als denjenigen, dessen Verrat dazu führte, dass Jesus am Ende gekreuzigt wurde. Was fasziniert Sie an seiner Geschichte so, dass Sie sich mit ihm identifizieren?
Also „Ich, Judas“, das können auch Sie sich wie jeder andere auf die Stirn schreiben. Weil jeder Schuld in sich trägt. Jeder von uns hat Verrat in sich, ob er sich nun selbst verraten hat oder andere wo auch immer. Dieser Verrat findet statt. Damit muss man sich ganz offen auseinandersetzen. Darum geht es mir.

Sie zitieren in Ihrem Bühnenprogramm Walter Jens, der in seinem fiktiven Prozessbericht „Ich, ein Jud: Verteidigungsrede des Judas Ischarioth“ quasi ein Gegenbild zum biblischen Judas entwirft, ihn als tragische Figur im göttlichen Heilsplan darstellt.
Eben darum war ich ja so beeindruckt von diesem Text. Jens sagt im Grunde: Verdrängt diesen Judas nicht, schiebt ihn nicht in die böse Ecke, klagt ihn nicht an, sondern geht nachsichtiger mit ihm um. Denn ohne die Kreuzigung, die er erst durch seinen Verrat bewirkte, hätte es die Erlösung nicht gegeben. Allerdings wohl auch nicht Pogrome gegen die Juden, wie Jens deutlich macht.
Diese Tragik, die an diesem Judas so offensichtlich wird, interessiert mich. Denn wir alle tragen ein Stück solcher Judas-Tragik in uns, werden immer wieder schuldig. Ich möchte mit „Ich, Judas“, wie überhaupt, wenn ich Theater mache, auf eine ernsthafte Weise anregen zu hinterfragen, Fragen zu stellen.

Bei den Bühnen, die Sie mit Ihrem neuen Programm jetzt bespielen, sind Aufregungen kaum zu erwarten. Es sind Kirchen. Macht das für Sie einen Unterschied, ob Sie in Schauspiel- oder Gotteshäusern spielen?
Das sind für mich beides durchaus heilige Orte. Ich denke, wenn ich einem guten Gottesdienst beiwohne, dann hat das für mich durchaus etwas von gutem Theater. Weil es mich mit auf die Reise nimmt. Theater, das ist existenziell, das ist etwas Schönes, Großes. Das beschäftigt sich mit Liebe, Tod, mit allen menschlichen Gefühlen und Regungen, damit, wie wir miteinander umgehen.Und insofern sehe ich da durchaus Parallelen.

Klingt nach Fortsetzung? Gibt es Pläne für weitere biblische Themen, die Sie noch auf die Bühne, in die Kirche bringen wollen?
Also ich rede ja gerne über ungelegte Eier. Ich denke gerade darüber nach. Also da gibt es ja noch ein Buch, das heißt die Apokalypse, lieber mag ich das Wort Offenbarung. Da habe ich neulich mal ein bisschen reingeguckt und war fasziniert. Und ich habe mich gefragt, wie darf ich das verstehen.
Da kann man sich die Zähne daran ausbeißen, und das tue ich ja manchmal auch ganz gerne. Ich glaube, das ist sehr schwer umzusetzen, denn eigentlich sind das ja alles auch Bilder. Bilder, Bilder, Bilder. Jetzt möchte ich nur soviel sagen. Es gibt da eines vom Fall Babylons. Und wenn das passiert, geht der Himmel auf. Das finde ich spannend.
Halleluja.

*) Die US-amerikanische Country­sängerin Dolly Parton (1946 geboren) präsentierte 1989 ihre Version des christlichen Klassikers „He‘s ­alive“ (Er lebt) über das Wunder der Auferstehung. Der Liedtext aus dem Jahr 1980 ist von dem US-amerikanischen Musiker Don Francisco.