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“Bei uns ist die ganze Welt vertreten”

Die Migrationsdebatte hat die Bundestagswahl geprägt. An unzähligen Orten im Land ist Vielfalt längst Alltag – mit ihren bereichernden wie herausfordernden Seiten. Über ein Pflegeheim mit Mitarbeitenden aus aller Welt.

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bonner Sebastian-Dani-Alten- und Pflegeheims kommen unter anderem aus Polen, Angola, Turkmenistan, Marokko, Tschechien, Libyen, Somalia, Gambia, der Türkei und dem Iran. Zwei Drittel der rund 90 Mitarbeitenden haben Wurzeln im Ausland. “Aus der kulturellen Vielfalt ergeben sich wenig Probleme, eher im Gegenteil”, sagt Einrichtungsleiterin Judith Quiske und schmunzelt: “Wir haben zum Beispiel kein Problem, an Feiertagen den Dienstplan zu füllen.”

Der 24-jährige Hassan Saleeban floh vor zehn Jahren aus Somalia. Nach einem Praktikum entschied er sich für die Pflege. “Mir gefällt die Atmosphäre, ich kann älteren Menschen helfen.” Er macht die Bewohnerinnen und Bewohner morgens fertig, begleitet sie zum Frühstück, reicht Essen an, hilft ihnen beim Toilettengang. Vor allem unterhält er sich gerne mit ihnen. Die älteren Menschen erzählten gerne, sagt er. Er weiß, wo sie geboren sind, was sie im Leben so gemacht haben. Und auch er erzählt von seinem Weg. In Somalia gebe es keine Seniorenheime. Dort lebten ältere Menschen in den Familien.

Auch Alicja Michna kannte keine Pflegeheime, als sie vor mehr als 30 Jahren aus Polen nach Deutschland kam. “Die ersten zehn Jahre hatte ich wahnsinnige Sehnsucht, aber mein Mann war nun mal in Deutschland”, erzählt die Altenpflegerin, die den Wohnbereich leitet. Trotzdem: Sie habe keine einzige schlechte Erfahrung in Bezug auf Ausländerfeindlichkeit gemacht, sagt die 52-Jährige. “Im Gegenteil, ich fühlte mich immer sehr herzlich aufgenommen.” Am Anfang habe sie viele Jahre geputzt.

Zur Altenpflege kam sie durch Nachbarschaftshilfe bei einem demenzkranken Mann in der Nachbarschaft. “Er war Fotograf”, erzählt Michna. “Einmal hat er mir ein Album gezeigt. Da war ein Foto vom 31. August 1939, kurz vor dem Einmarsch in Polen, auf dem Soldaten am Tisch saßen und Bier tranken. Der liebevolle Opa, um den ich mich kümmerte, war da dabei”.

Beim Berufsstart hatte sie sich darauf eingestellt, dass es traurig werden würde. “Dann stellte ich fest, dass ich noch nie so viel gelacht habe wie in einem Altenheim.” Auch damals, in ihrem Ausbildungsheim auf dem Land, war das Team international – heute ist es noch vielfältiger. “Bei uns ist die ganze Welt vertreten”, sagt Michna.

86 Bewohnerinnen und Bewohner, davon vier oder fünf mit Migrationshintergrund, werden von den Mitarbeitenden versorgt. Der Leiterin ist es wichtig, dass alle Berufsgruppen wahrgenommen werden. “Nicht nur ohne die Pflege, auch ohne die Hausreinigung, die Küche, die Verwaltung und unseren soziokulturellen Dienst liefe es nicht”, sagt Quiske.

Vor Herausforderungen stellen sie gelegentlich Sprachbarrieren. “Bei der Einarbeitung neuer Mitarbeitender müssen wir manchmal schauen, ob jemand übersetzen kann”, sagt die 53-Jährige. In der Küche sei dies weniger ein Problem; viel gehe dort durchs Zeigen. Für Pflegefachkräfte ist ein solides Sprachniveau vorgeschrieben. Trotzdem sei es wichtig, dass die Pflegedienstleitung die schriftlichen Dokumentationen engmaschig kontrolliere. “Die Devise ist: Was dort nicht dokumentiert wurde, ist nicht gemacht worden.”

Für Pflegehilfskräfte und viele andere Tätigkeiten im Haus sind keine Sprachkenntnisse vorgeschrieben. “Ich steuere je nach Sprachniveau, wo ich ungelernte Kräfte eher mit Bewohnern oder in der Küche einsetze.” Personalmangel hat Quiskes Haus nicht. Das sei vermutlich der gut angebundenen Lage zu verdanken – und auch der Tatsache, dass die Caritas als Träger vergleichsweise gut zahle. “Alle sind herzlich willkommen, die hier arbeiten möchten, egal welche Herkunft, Religion, ob gestreift oder kariert.”

Der gebürtige Iraner Ali Sadeghifar ist seit elf Jahren Altenpflegehelfer. “Ich mag es, mit Menschen zu arbeiten”, sagt er. Der damalige Bankangestellte floh vor über 30 Jahren aus politischen Gründen, arbeitete erst als Kellner und Küchenhilfe, bevor er in die Pflege wechselte. Ausländerfeindliche Vorfälle hat er im Heim selbst nie erlebt, aber er beobachtet: “Kollegen aus Afrika schon. Ich denke, es liegt an der Farbe.”

Sein Kollege Saleeban sagt, er habe in Bonn bisher keine negativen Erfahrungen gemacht. “Ich versuche auch, immer freundlich zu sein”. Er erzählt von einem Bewohner seines Ausbildungsheims, der ihn aufgrund von Hautfarbe und Herkunft herabgewürdigt hat. “Ich habe das nicht persönlich genommen”, sagt er. “Es bringt ja nichts, über Beleidigungen lange nachzudenken. Die alten Menschen brauchen Hilfe”.

Quiske ist nicht begeistert, dass Mitarbeitende solche Vorfälle eher herunterspielen. Zwar sei durch Alter und Krankheiten mehr Nachsicht bei rassistischen Aussagen da. “Aber selbst mit Menschen mit Demenz kann ich ins Gespräch darüber gehen, dass nicht die Hautfarbe einen Menschen ausmacht”, sagt Quiske, die selbst Tochter eines afroamerikanischen Vaters ist.

Auch Sadeghifar hat Sorge, dass seine schwarzen Kollegen sich benachteiligt fühlen. “Nicht Farbe und Religion macht Menschen aus, sondern Mitmenschlichkeit.” Das habe er auch seinen beiden Kindern vermittelt. “Und Respekt vor älteren Leuten”, ergänzt er. Der 61-Jährige ist verheiratet und hat die deutsche Staatsbürgerschaft. “Und leider auch noch die iranische – die kann man nicht zurückgeben”.

Sadeghifars Kinder sind in Deutschland geboren. Um die habe er gerade Angst, sagt er. Die Stimmung gegenüber ausländisch wirkenden Menschen sei im Alltag schlechter als früher. “Natürlich bin ich gegen Terror wie in Aschaffenburg. Der Täter hätte abgeschoben werden müssen. Das hat wegen Bürokratie und Versäumnissen der Behörden nicht geklappt – und das müssen jetzt alle Ausländer ausbaden”.

Die Vielfalt in dem Bonner Altenheim zeigt sich wohl am deutlichsten auf dem Tisch im Pausenraum, wenn samstags zusammen gefrühstückt wird. “Dann bringe ich etwas aus Somalia mit, Kolleginnen machen etwas Türkisches oder Libysches”, sagt Hassan Saleeban. “Und auf Polnisch kann ich ‘Guten Appetit!’ sagen”.