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Bedford-Strohm: “Die Mitgliederzahlen sind viel ehrlicher als 1950”

Die größte Herausforderung der Kirchen ist nach Ansicht des früheren Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, nicht die institutionelle Verkleinerung. Sie liege vielmehr darin, neue mentale Stärke zu gewinnen, sagte der ehemalige bayerische Landesbischof am Mittwochabend in Stuttgart beim Neujahrsempfang der württembergischen Vereinigung „Offene Kirche“. Die Voraussetzungen dazu seien gut, „wenn wir unsere eigenen geistlichen Quellen entdecken“. Bedford-Strohm warnte vor einer „Verliebtheit in den Niedergang“.

Oft komme die intensive Arbeit an den geistlichen Grundlagen der Kirche in den Medien nicht rüber. Er erlebe das, wenn er in einem Vortrag lange an einem Bibeltext arbeite und daraus dann auch politische Schlüsse ziehe. Zitiert würden meist nur seine Folgerungen, ohne jeden Zusammenhang. „Die 90 Prozent stehen nicht in der Zeitung.“

Wer 1950 aus der Kirche ausgetreten sei, so Bedford-Strohm, habe mit sozialen Sanktionen rechnen müssen. „Womöglich hätte die Oma den Kontakt abgebrochen.“ Heute sei es manchmal umgekehrt, besonders im Osten der Republik: „Teils erfordert es Bekennermut, dass ich in der Kirche bleibe.“ Wenn heute etwa jeder Zweite in Deutschland Mitglied einer evangelischen, katholischen oder orthodoxen Kirche sei, sei er es freiwillig: „Die heutigen Mitgliederzahlen sind viel ehrlicher als 1950.“

Für die Kirche der Zukunft stellte Bedford-Strohm drei mögliche Modelle vor: Sie könne als „Gesellschaftskirche“ das bieten, was die Leute religiös erwarten, und den Trends hinterherlaufen. Oder sie könne sich als „Kontrastgesellschaft“ von den anderen abheben wollen, als „Club der Erleuchteten“. Diese Version gebe es als fromme Gemeinschaft ebenso wie als progressive, kapitalismuskritische Versammlung. In beiden Fällen werde aus der Abgrenzung gelebt.

Bedford-Strohms Favorit ist jedoch die „öffentliche Kirche in der pluralistischen Gesellschaft“. Mitten im Pluralismus, den sie bejahe, entwickle die Kirche ein klares theologisches Profil und lebe es auch selbst. Sie wolle die Gesellschaft nicht bevormunden, sondern „einen authentischen Beitrag im gesellschaftlichen Diskurs liefern“. (0398/20.02.2025)