Prerow/Stralsund. Gottesdienst in der Seemannskirche in Prerow: Es ist rappelvoll. Mitten in der Predigt von Pastor Reinhard Witte quengelt ein kleines Kind. Der Vater will mit ihm herausgehen. Witte unterbricht seine Predigt: „Bleiben Sie doch. Rausgehen ist die schlechteste Lösung.“ Er empfiehlt dem Vater, nach hinten unter die Empore zu gehen, dort könne der Kleine herumlaufen und spielen, „und Sie kriegen trotzdem was mit“. Der junge Vater lächelt, dreht sich um und spaziert mit dem Kleinen zurück. Die Gemeinde klatscht. Witte fragt, wo er eigentlich stehen geblieben war, und macht weiter.
Die Kirche ist mehr als ein Ort zum Gottesdienst
Nach der Predigt lädt er an diesem Neujahrsabend zur Tauferinnerung ein. Jeder bekommt ein Segenskreuz auf die Stirn gezeichnet. So gehen alle ermutigt und versichert in ein neues Jahr.
In der Seemannskirche Prerow wie in den dazugehörenden Kirchen in Born und Ahrenshoop sind die Einheimischen meist in der Minderzahl – zumindest in den warmen Monaten und zu Festtagen. Dann kommen die vielen her, die hier eine Zweitwohnung besitzen, Touristen aus Hotels und Ferienwohnungen, ganzjährig auch Gäste aus den Reha-Einrichtungen. Die Kirche ist mehr als Gottesdienstort, sie ist auch Treffpunkt. 23 Jahre war Reinhard Witte hier Pastor.
Wenn man die Gemeindebriefe über Jahre verfolgt, konnte man staunen über die vielen Trauungen und Taufen, die hier gefeiert wurden – manchmal drei Trauungen an einem Tag. Die meisten Paare und Täuflinge kamen von außerhalb, genau wie in den anderen Ostseeorten.
Die Darßkirchen sind ein geistlicher Raum
In den Sommermonaten finden zudem viele Kulturveranstaltungen statt. Professor Wolfgang Dutz war in den vergangenen Jahren für die Konzertplanungen zuständig. Zur Begrüßung und zum Segenswort am Ende ist in den Darßkirchen aber stets der Pastor gefordert. Es soll klar sein: Dies ist ein geistlicher Raum.
In Wittes 23 Dienstjahren auf dem Darß wurde in den drei Kirchen nicht nur viel getraut, getauft und gepredigt – es wurde auch viel gebaut. In Born wurde die kleine Fischerkirche aus dem Jahr 1935 im Inneren in ihren ursprünglichen Zustand gebracht – so wie Architekt Bernhard Hopp sie einst geplant hatte. 1984 waren Ständerfiguren von Hopp, die im Darßmuseum in Prerow gefunden worden waren, nachträglich in die Altarwand eingebaut worden. Sie wurden nach einem Jahr Umbau 2010 in das Kircheninnere an die Empore versetzt, sodass nun nur das schmale Eisenkreuz vorn steht. Diese Rückführung rief auch viel Unmut hervor bei Einheimischen und Touristen, die auf vertraute Ansichten nicht verzichten wollten.
„Wir hatten viele schlaflose Nächte”
Unterschriften wurden gesammelt gegen die Umgestaltungspläne des Kirchengemeinderates, der sich rund zehn Jahre damit auseinandergesetzt hatte, wissenschaftliche Beratung des Greifswalder Theologie-Professors Martin Onnasch eingeholt hatte. „Wir hatten viele schlaflose Nächte deswegen“, sagt Witte rückblickend, und seine Frau Marie-Luise stimmt gequält lächelnd zu. Die Auseinandersetzungen – so manche nicht offen geführt – machten das Leben schwer, sehr schwer. Heute redet kaum noch einer darüber.
2012 kündigte die Kommune dem Kreisdiakonischen Werk den Vertrag zum Betreiben der evangelischen Kita in Born. Die Kirchengemeinde hatte die Kita 2000 übernommen, 2004 wegen des neuen Kindertagesstättenförderungsgesetzes der Landesregierung an das Kreisdiakonische Werk Stralsund mit seinen Erfahrungen im Betreiben solcher Einrichtungen übergeben.
Rechtsstreit polarisierte die Gemeinde
Hatte die Umgestaltung der Kirche etwas mit der Auflösung des Vertrages zu tun? Wegen der zeitlichen Nähe lag die Vermutung nahe. „Verstanden habe ich es bis heute nicht“, sagt Witte. Es sei ein unerträglicher Rechtsstreit gewesen, der auch in der Tageszeitung breiten Widerhall fand und polarisierte.
In der kleinen Schifferkirche in Ahrenshoop wurde die in den 1960er-Jahren eingebaute Schuke-Orgel durch eine neue von dem gebürtigen Ahrenshooper Orgelbauer Kristian Wegscheider ersetzt. Nach vielen Überlegungen steht diese Orgel hinter der Altarwand, nur der Spieltisch davor. Diskussionen laufen bis heute, besonders von Mitgliedern des Fördervereins: Das Holz sei zu hell, eine Leiste als Sichtelement zu viel, die Traktur nicht optimal.
Berühmte Gäste aus Politik und Kultur
Pastor Witte hatte in all den Jahres seines Dienstes im Sommer stets gern gesehene Unterstützung von Kurkantoren wie Matthias Wand aus Köln, Kurpredigern wie dem ehemaligen Vorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland, Nikolaus Schneider, oder dem ehemaligen Chemnitzer Superintendenten Christoph Magirius. Außerdem kommen als Vortragende gern berühmte Gäste – wie Harald Martenstein, bei dem es lange vor Öffnung der Kirche Schlangen gibt; Walter Jens war hier, Eberhard Jüngel, Manfred Kock …
Es gab immer Baustellen – das sogenannte Kantorhaus in Prerow ist saniert und lädt als Gemeindehaus mit Winterkirche, Gemeinderäumen und drei Ferienwohnungen ein, in denen Kurkantoren und -prediger untergebracht werden können. Das Pfarrwitwenhaus wird zurzeit renoviert, es soll als Ferienwohnung Geld bringen für die Gemeindearbeit. Auch das Pfarrhaus wird saniert, für eine Nachfolge.
Neuanfang nach 25 Jahren
Mit 60 nun tritt Witte noch einmal eine neue Pfarrstelle an. Da bei Eintritt in den Ruhestand des Zingster Pastors auch die Kirchengemeinde Zingst zur Gemeinde Prerow dazukommen soll, wurde Witte klar, „dass wir etwas verändern müssen“. Seine bisherige Gemeinde sei gut aufgestellt, befriedet, ist er überzeugt.
So bewarb er sich in Stralsund und begann am 1. Juni seinen Dienst in der dortigen Nikolai-Gemeinde mit ihren drei Predigtstätten. Hier steht ihm ein Kollege zur Seite. Ein hauptamtlicher Kantor ist voll angestellt. Und im Sommer gibt es auch hier viele Touristen. So nimmt Witte gern die ein oder andere bewährte Veranstaltung mit.
Während sich sein neuer Kollege Albrecht Manthei um die Jugendarbeit kümmern will, wird Witte für Bauaufgaben und Personal zuständig sein, so haben sich die beiden bereits verständigt. Für alles andere gilt bei ihnen die Devise: gemeinsam. Die ersten Mittagsgebete hat Witte bereits gehalten, in St. Nikolai und in der benachbarten großen Kirche St. Marien. Da er viel mit dem Rad unterwegs ist, kennt er schon so einige (Schleich)wege.
In die Wohnung seines Vorgängers, der nach Gartz auf Rügen wechselte, ist er mit seiner Frau nicht eingezogen. In der ehemaligen Lateinschule, wo die Pastoren der letzten Jahrzehnte wohnten, erstreckt sich die Wohnung über drei Etagen, hat keinen Balkon, keine Terrasse – so suchten sich Wittes mit Genehmigung der Pröpstin im Gemeindegebiet eine private Wohnung. Sie hoffen, in sechs Jahren zum Ruhestand nicht noch einmal umziehen zu müssen. Der Einführungsgottesdienst von Pastor Reinhard Witte wird am Sonntag, 2. August, um 14 Uhr in St. Nikolai Stralsund gefeiert.