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Auch mal frech Position beziehen

Als neuer Vorstandsvorsitzender der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft Familie setzt sich Martin Treichel für einen modernen Familienbegriff ein. Dabei will er auch die Politik kritisch begleiten

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Martin Treichel heißt seit 1. Januar der Vorstandsvorsitzende der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft Familie Nordrhein-Westfalen („eaf-nrw“). Der 50-Jährige ist im Hauptberuf westfälischer Landesmännerpfarrer und Leiter des Fachbereichs Männer, Familie, Ehrenamt im Institut für Kirche und Gesellschaft der Evangelischen Kirche von Westfalen in Schwerte-Villigst. Über die Herausforderungen und Ziele seines neuen Amtes stand er UK Rede und Antwort.

Sie sind der neue Vorstandsvorsitzende der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft Familie. Welche Chancen birgt dieses Amt für die Familien in unserem Bundesland?
Die eaf verbindet alle drei nordrhein-westfälischen Landeskirchen und hat insofern einen weiten Blick und eine überregionale Perspektive. Gleichzeitig hat sie als relativ kleiner Verband gute Möglichkeiten, aktuell und pointiert und vielleicht auch einmal „frech“ familienpolitisch Position zu beziehen. Die „eaf“ ist kein schwerer Tanker, sondern eher ein Schnellboot. Dieses mit zu steuern, das ist eine spannende Aufgabe.

Was ist denn am Thema Familie so bemerkenswert?
Bemerkenswert und besonders finde ich zunächst einmal, dass an den Herausforderungen dieses Themas niemand vorbeikommt. Wir alle sind „Tochter von…“, „Vater von…“, „Schwester von…“ oder „Enkel von…“. Ins Thema Familie sind wir also alle involviert. Meine Familie etwa lebt gerade in der Phase, in der unsere Kinder aus dem Haus gehen und nicht mehr so viel unmittelbare Unterstützung brauchen. Dafür rücken jetzt stattdessen unsere Eltern in den Mittelpunkt, mit denen wir im Gespräch sind, wie sie ihr Alter gestalten können.

Zum Familienbegriff gibt es unzählige Definitionen. Was macht für Sie Familie aus?
Inhaltlich stehe ich voll hinter dem Familienbegriff, wie ihn die Evangelische Kirche von Westfalen vor einigen Jahren in ihrer Hauptvorlage „Familien heute“ geprägt hat: „Familie ist da, wo Menschen dauerhaft und generationenübergreifend persönlich füreinander einstehen und Verantwortung übernehmen.“ Mit dieser Definition hat die evangelische Kirche entschieden, sich einem weiten und modernen Begriff von Familie zu öffnen und dafür einzustehen, dass Familie mehr ist als „Vater, Mutter, Kind“. Denn die Formen und Grenzen von Elternschaft und Familie haben sich gewandelt. Diesen Prozess mitzugestalten und immer neu anzuregen – einerseits in die Kirche hinein, andererseits mit dem Blick in die Gesellschaft –, halte ich für die Aufgabe der eaf.

Sie arbeiten in der Männerarbeit. Welchen Ideen von Familie begegnen Sie in diesem Kontext?
In der Männerarbeit begegnen uns die Veränderungen im Blick auf Familien in besonderer Weise. Zwei Beispiele dazu: Wir veranstalten zahlreiche Seminare für Väter mit ihren Kindern. Die Väter bringen all das zu den Veranstaltungen mit, was sie in ihrem Alltag erleben. Die Schwierigkeiten der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die vielfältigen Belastungen, denen Familien heute begegnen, die Herausforderungen in Patchwork- oder Regenbogenfamilien, die spannenden Aufgaben in der Begleitung von Kindern – alles ist dann Thema. Und wir bieten mit den Seminaren einen Rahmen, damit Väter darüber ins Gespräch kommen können. Ein anderes Beispiel: Die Arbeit mit männlichen Erziehern. Immer noch sind männliche Erzieher in Kitas eine seltene Spezies – aber gleichzeitig gibt es mehr, als man denkt. Bei uns erhalten sie die Möglichkeit, sich weiterzubilden, um in einem weitgehend weiblich konnotierten Berufsfeld professionell tätig sein zu können. Und dort, in den Kitas, sind sie dann wiederum wichtige Ansprechpartner und Orientierungspunkte für Eltern und Kinder.

Gibt es ein familienpolitisches Thema, das Ihnen besonders am Herzen liegt und das Sie in der kommenden Zeit in der Arbeit der „eaf“ verorten möchten?
Da ist zum einen das Megathema Digitalisierung, das alle Lebensbereiche massiv beeinflussen und verändern wird. Mit der Broschüre „Leben – lieben – liken“ ist uns dazu ein wirklich guter Aufschlag gelungen. Nun gilt es, dies in unseren verschiedenen Bezügen zu verstetigen und vertiefend zu diskutieren.

Und die Familienpolitik der nordrhein-westfälischen Landesregierung?
Die wird sicherlich kritisch zu begleiten sein. Gleich in der ersten Delegiertenversammlung im Jahr 2018 werden wir dazu mit einem Vertreter der Mehrheitsfraktionen im Landtag im Gespräch sein. Und schließlich könnte das Thema „Drittes Geschlecht“, das mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts im vergangenen November erheblich an Dynamik gewonnen hat, uns auch in der „eaf“ nachhaltig beschäftigen, da es in den Kirchen dazu bislang nur wenige Ansätze und Erfahrungen zum Umgang mit diesem Thema gibt.