Seine Frau hörte die Sirenen zuerst. Sie weckte Arye Sharuz Shalicar am frühen Morgen des 7. Oktober in ihrer Wohnung nahe Tel Aviv. Luftalarm wegen Raketen aus dem Gazastreifen, das hatte es lange nicht gegeben. Als der Israeli mit deutschen Wurzeln den Fernseher einschaltete, konnte er kaum glauben, was er da sah. Hamas-Terroristen fuhren jubelnd in Pick-Up-Trucks durch die Straßen – mitten in Sderot, einer israelischen Kleinstadt nur ein paar Kilometer vom Gazastreifen entfernt.
Kurz darauf klingelte Shalicars Telefon, und der Reservist wusste: Jetzt ist der Krieg da. Am anderen Ende der Leitung war das Militär und zog ihn ein. Seitdem versieht er seinen Dienst als Militärsprecher – und erläutert den Deutschen das Kriegsgeschehen. Oft ist er in der Tagesschau und anderen Nachrichtensendungen zu sehen, zweimal war er bei Anne Will zu Gast, zugeschaltet aus Israel.
Anzug gegen Uniform getauscht
Für seinen aktuellen Job hat Shalicar den Anzug gegen eine Uniform getauscht. In friedlicheren Zeiten arbeitet er im Büro des Premierministers als Leiter der Abteilung für Internationale Beziehungen, jetzt gibt er jeden Tag dutzende Interviews für internationale Medien, denn außer Deutsch spricht er auch noch Englisch, Arabisch und etwas Türkisch. Neben Anfragen für Medien ist der 46-Jährige auch Ansprechpartner für Hilfsorganisationen. Shalicar ist viel unterwegs, um „nah dran an den Truppen“ zu sein, wie er selbst sagt. Zugute komme ihm jetzt seine Erfahrung mit Medien, drei Jahre lang hat der Publizist und Buchautor etwa im ARD-Studio in Tel Aviv gearbeitet.
Heute im Kibbutz Kfar Aza, nur wenige hundert Meter entfernt vom Grenzzaun zum Gazastreifen.
Das Kibbutz wurde am 7. Oktober von #Hamas Terroristen in ein Schlachtfeld umgewandelt. pic.twitter.com/x3QDvTj07I— Arye (ARO) Sharuz Shalicar (@aryeshalicar) November 2, 2023
Jeden Tag nimmt Shalicar eine Folge seines neuen Podcasts „Nahost-Pulverfass“ auf, in dem er seine Sicht auf den Krieg erläutert. „Das ist der einzige Kanal, wo ich direkt sprechen kann“, sagt er. In ein Studio geht es dafür nicht, den Podcast spricht Shalicar einfach in sein Handy – dort, wo er gerade ist.
Shalicar ist Sohn iranischer Juden und wurde 1977 in Göttingen geboren. Er verbrachte seine Jugend in Berlin und entschied 2001, nach Israel auszuwandern. Der Grund: „Judenhass auf den Straßen von Berlin“, wie er sagt. Den gibt es auch heute, in der Berliner Sonnenallee und anderswo in Deutschland, wo vor Freude über die Hamas-Attacken Süßigkeiten verteilt und israelische Fahnen angezündet werden. Überrascht ist der studierte Politologe darüber nicht, aber ihm gibt die Relativierung des Antisemitismus in der deutschen Gesellschaft zu denken. „Das ist eine Gefahr für die Demokratie“, warnt er.
Wie beseitigt man eine Terror-Ideologie?
In Israel schließt Shalicar sein Studium ab, geht zum Militär und ist acht Jahre lang einer der Sprecher der israelischen Armee, weswegen er mit dem Ausbruch des Kriegs eingezogen worden ist. „Top-motiviert“ sei er jetzt, sagt er, denn er stehe voll hinter den Zielen der israelischen Regierung.
Dieses Ziel lautet: Ausschalten der Hamas. Aber ist das überhaupt zu schaffen? „Die führenden Köpfe der Terroristen werden das Ende des Kriegs nicht erleben“, ist er sich sicher. Doch die Ideologie der Terroristen zu beseitigen, das gehe nicht von heute auf morgen. Schließlich würden schon Fünfjährige in Terrorcamps geschult und müssten mit Plastikgewehren auf imaginäre Juden schießen. Um den Frieden im Gazastreifen langfristig zu sichern, fordert Shalicar: „Die Welt muss sich einbringen.“ Dabei denkt der Militärsprecher an die Vereinten Nationen, die USA, aber auch an Deutschland.
Kein Verständnis für Kritik am Militär
Kein Verständnis hat Shalicar für Menschen in Deutschland, die in Umfragen sagen, Israel würde im Gazastreifen zu weit gehen. 1.400 Menschen seien am 7. Oktober auf bestialische Weise getötet worden. Übertragen auf Deutschland würde das bedeuten: 10.000 ermordete Deutsche. Außerdem habe das israelische Militär alles getan, um zivile Opfer zu vermeiden. Lange seien die Menschen zum Beispiel aufgefordert worden, den Norden des Gazastreifens zu verlassen.