Was früh auffällt: Wie analog diese Serie daherkommt, welch geringe Rolle digitale Übertragungswege spielen, wie wenige Bildschirme zu sehen sind. Stattdessen: Journalistinnen, die auf menschliche Informanten setzen, die sie tatsächlich noch von Angesicht zu Angesicht treffen. Polizisten, die rauchend vor der Tür stehen oder in dreckiger Handarbeit mögliches Beweismaterial aufsammeln. Charaktere, die zu Fuß ihre Stadt durchstreifen oder in schummrigen, kaum Instagram-tauglichen Kneipen und Büros sitzen, Texte auf Papier lesen, Stifte benutzen. Manche von ihnen reparieren sogar Wegwerf-Kulis.
Dazu ein nächtlicher Retro-Look, Berlin nicht als Hochglanz-, sondern als heruntergekommene, dezent vor sich hin modernde Metropole. Die (wieder angesagten) 80er-Jahre-Frisuren und -Jacken passen dazu, ebenso wie der leicht anachronistisch anmutende Schauplatz einer Zeitungsredaktion und der Schnauzer von deren Chefredakteur. Die Mini-Serie “The Next Level”, deren sechs Folgen das Erste am 31. Januar auf einem völlig unwürdigen Sendeplatz von 22.20 bis 2.50 Uhr ausstrahlt, erzählt von der Sehnsucht nach der Vergangenheit. Als eine Art Platzhalter für Unschuld, Freiheit, neuen Möglichkeiten, ja, gewissermaßen für die Stadt Berlin selbst: Die Vergangenheit dient hier als Projektionsfläche für unterschiedlichste Begierden.
“The Next Level”: Story inspiriert von realen Ereignissen
Von diesen Sehnsüchten wird die Story angetrieben, an deren Anfang der Drogentod einer nach einem Clubbesuch ums Leben gekommenen Touristin steht – und die sich zu einer internationalen Recherche über die Kommerzialisierung Berlins weitet. Damit ruft die Produktion die Erinnerung an Florian Opitz’ großartige Doku-Serie “Capital B” von 2023 wach, die die Geschichte der Stadt seit dem Mauerfall, vor allem aber deren dreisten Ausverkauf illustrierte. Es scheint, als wäre es gut 35 Jahre später an der Zeit, kritisch zurückzublicken.
Die Story ist inspiriert von realen Ereignissen – dem Tod einer US-Amerikanerin im Juni 2017 nach einem Besuch im Berliner Club “Berghain”. Die Reporter-Koryphäe Alexander Osang berichtete damals in einer langen “Spiegel”-Reportage über den Fall.
“Wir wollten frei sein! Aber was haben wir gekriegt? Den Westen!”
Die Serie ist nichtsdestotrotz Fiktion: Drehbuchautor Osang erfindet die idealistische Reporterin Rosa Bernhard (Lisa Vicari) hinzu, sein Alter Ego. Den Immobilienmogul Bodo Brenner (Jens Harzer), dessen Nostalgie für den Osten ihn keineswegs vor den Verlockungen des Kapitalismus bewahrt. Den stillen Ehemann der Toten (Ben Lloyd-Hughes), die von Schuldvorwürfen gepeinigte Nightmanagerin des Clubs (Paula Kober). Rosas ehrgeizigen Freund Mark (Jerry Hoffmann), der als Wirtschaftssekretär ein Immobilienprojekt betreut, an dem Brenner beteiligt ist.
Aber auch Figuren wie Rosas Mutter (Michaela Winterstein), die stellvertretend für viele von der Wende enttäuschte Ostdeutsche steht: “Wir wollten frei sein! Aber was haben wir gekriegt? Den Westen! Therapeuten, Dinkelbrot, dich, Marky, aus Wuppertal!” (Woraufhin besagter “Marky” murmeln darf, dass er tatsächlich aus Bielefeld stamme). Sätze für die Ewigkeit.
Porträt der Hauptstadt als Ort der Sehnsüchte und des Übergangs
Überhaupt glänzt das Buch durch starke Dialoge. Wenn diese gelegentlich ein wenig zu “groß” und geschliffen ausfallen, werden sie durch die so bodenständige wie atmosphärische Regie von Pia Strietmann und Julia Langhof sowie das überzeugende Spiel der tollen Darsteller geerdet. Etwas aufs “next level” heben, wie man in den USA sagt, auf die nächste Ebene: Damit sind hier Ekstase, eine neue Lebensphase, wirtschaftlicher Aufstieg und kapitalistisches Wachstum gemeint – allesamt Wünsche, die sich in Berlin (vermeintlich) gut befriedigen lassen.
Die durch eine eindrückliche Kamera, intensive Musikspur und effektiven Schnitt auffallende Serie zeichnet ein Porträt der Hauptstadt als Ort der Sehnsüchte und des Übergangs. Die Metropole im märkischen Sand spielt hier klar die erste Hauptrolle, ist nicht nur zu hören und zu sehen, sondern gewissermaßen auch zu schmecken, riechen, fühlen. Last but not least ist “The Next Level” aber auch eine leidenschaftliche Hommage an einen Berufsstand, einen nicht nur in der Fiktion zunehmend gefährdeten: jenen der Journalisten und Journalistinnen.