Wenn das „Wort Gott“ keine Bedeutung mehr hat, „so übersetzt es, und sprecht von der Tiefe in eurem Leben, vom Ursprung eures Seins, von dem, was euch unbedingt angeht“. Der evangelische Theologe und Religionsphilosoph Paul Tillich war überzeugt, dass der Mensch von Natur ein religiöses Wesen und in allen Lebensbereichen auf der Suche nach Sinn ist. Nur hatte er erfahren, dass der Weg zu Gott vielen, besonders naturwissenschaftlich Gebildeten, verstellt scheint durch Dogmen und katechetische Lehrsätze. Paul Tillich, gestorben am 22. Oktober 1965 in Chicago, war ein Apostel der Zweifler.
Gott als Name für den „unerschöpflichen Grund“
Inspiriert von zeitgenössischer Dichtung und Tiefenpsychologie, versuchte der Theologe die Gottesfrage philosophisch zu umschreiben: „Der Name dieser unendlichen Tiefe und dieses unerschöpflichen Grundes alles Seins ist Gott.“ „In der Tiefe ist die Wahrheit“heißt die erste Folge der „Religiösen Reden“, die Tillich in den 1950er Jahren bekannt machten.
In den USA der Nachkriegsjahre wurde er zum Superstar der Theologie. Tillich suchte den Dialog mit möglichst vielen kulturellen Strömungen, mit Wissenschaftlern: so mit Albert Einstein, der wie er 1933 aus Nazi-Deutschland in die Staaten emigriert war. Der Physiker rieb sich an der Katechismusweisheit von Gottes Allmacht: War es nicht eine Lästerung Gottes, in ihm den allmächtigen Steuermann der Welt zu erblicken – angesichts von Krieg und Völkermord?
Tillich hatte keine Probleme, weitherzig zu deuten: „Allmacht Gottes heißt nicht, dass Gott alles… selbst getan oder zugelassen habe… im Sinne einer physikalischen Kausalität“. Das „Symbol der Allmacht“ bringe zum Ausdruck, dass den Gottsucher nichts vom „unerschöpflichen Grund des Seins“ trennen könne.
Der Theologe sprach aus eigener Erfahrung. Seinen Glauben verlor er auch nicht in der dunkelsten Krise, in die ihn der Erste Weltkrieg gestürzt hatte.
Paul Tillich wurde am 20. August 1886 als Pfarrerssohn in der damaligen Mark Brandenburg geboren. Nach Schule, Studium und ersten Erfahrungen in der Berliner Seelsorge meldete er sich als Feldprediger zur Westfront. Auf den Schlachtfeldern vor Verdun, bei Gottesdiensten in Schützengräben erlebte er, „dass die Arbeiter die Kirche als bedingungslose Verbündete der herrschenden Gruppen ansahen“.
Der junge Theologe, bisher in den Spuren seines konservativ evangelisch-lutherischen Vaters, begrüßte das „schöpferische Chaos“ der Novemberrevolution 1918. Tillich hoffte auf gesellschaftlichen Wandel, wurde Mitglied der USPD im linken Spektrum der Sozialdemokratie und Prediger des Religiösen Sozialismus. Er hielt im Frühjahr 1919 vor der Berliner Kant-Gesellschaft einen programmatischen Vortrag über ein Thema, das ihn sein Leben lang begleiten sollte: über die Idee einer Theologie der Kultur.
Kirche als Verbündete der Herrschenden
Nach dem politischen Systemwechsel war die Kirche plötzlich mit dem gesellschaftlichen Pluralismus konfrontiert. Tillich, der das Großstadtleben genoss, empfahl eine Öffnung und forderte mehr soziale Gerechtigkeit unter Berufung auf die Botschaft vom Reich Gottes. Als sich vor der „Machtergreifung“ die Formierung der „Deutschen Christen“ innerhalb der „Bewegung“ abzeichnete, warnte Tillich vor einem „Bündnis der protestantischen Kirche mit der nationalsozialistischen Partei zur Unterdrückung des Sozialismus und Bekämpfung des Katholizismus“.
Zwischen ewiger Wahrheit und Zeitsituation