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Anders leben

In Paris soll ein Abkommen zur Begrenzung der Erderwärmung geschlossen werden. Es wird die Politik in die Pflicht nehmen – und jeden Einzelnen, meint Klaus Breyer

lassedesignen - Fotolia

Vom 30. November bis 11. Dezember steht in Paris die Entscheidung über ein neues globales Klimaabkommen an. Klaus Breyer, Leiter des Instituts für Kirche und Gesellschaft der Evangelischen Kirche von Westfalen und Umweltfachmann, setzt viele Hoffnungen in dieses neue Abkommen, er weiß jedoch auch um die Probleme bei der Umsetzung. Annemarie Heibrock sprach mit ihm am Rande der westfälischen Landessynode.

Bei den Bonner Vorverhandlungen zum Klimagipfel gab es noch etliche offene Punkte – vor allem im Blick auf die armen Länder, die unter den Folgen des Klimawandels leiden. Hoffen Sie, dass sich die Staaten in Paris einigen werden?
Wenn wir jetzt nach Paris blicken, dann blicken wir vor allem auf den unfassbaren Terror und das Leid, das er angerichtet hat, und auf diese Kampfansage an unsere offene Gesellschaft mit ihren Grundwerten. Ein in Paris verabschiedetes wirkungsvolles Klimaabkommen wäre ein wichtiges Zeichen des Friedens, der Menschlichkeit und Solidarität, das wir gerade jetzt brauchen. Ein Zeichen, dass die Staatengemeinschaft sich nicht abfindet mit Zerstörung, Armut, Gewalt, Flucht und Vertreibung, sondern einsteht für Klimagerechtigkeit und eine menschenwürdige Zukunft aller Menschen auf der Erde. Ich habe Hoffnung, dass dies gelingen wird, denn bei den bisherigen Blockierern und derzeit größten Verursachern von Treibhausgasen, USA und China, wächst die Bereitschaft für ein Abkommen.

Was erwarten Sie im Blick auf die Verbindlichkeit der Nachhaltigkeitsziele, etwa auf das Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 bis 2 Grad zu begrenzen?
Die bereits vorgestellten Absichtserklärungen und Pläne der Staaten deuten leider darauf hin, dass die Welt auch nach der bevorstehenden Klimakonferenz immer noch auf einen globalen Temperaturanstieg von fast 3 Grad Celsius oder mehr zusteuert. Deshalb ist es in der Tat wichtig, dass in Paris  verbindliche Regeln und Mechanismen verabschiedet werden, um das 1,5 bis 2 Grad-Ziel zu erreichen.

Wie kann das gelingen?
Entscheidend ist, dass es gelingt, eine kontinuierliche Verschärfung der Reduktionsziele und  transparente Überprüfungsmechanismen zu vereinbaren, mit denen die Staaten angehalten werden, ihre oft schwachen Klimaschutzpläne ambitionierter und fairer zu gestalten. Das wäre  ein großer Sprung vorwärts im Kampf gegen den menschengemachten Klimawandel. Außerdem müssen  arme Länder beim Klimaschutz und bei der Anpassung an den – nicht mehr vermeidbaren – Klimawandel ausreichend finanziell und technisch unterstützt werden. Ebenso wichtig ist, dass besonders die Ärmsten bei Dürren, Überschwemmungen und anderen katastrophalen Folgen des Klimawandels ausreichend entschädigt werden. Schon heute ist weltweit der Klimawandel eine der Hauptfluchtursachen.  

Wie sehen Sie die Rolle Deutschlands?
Deutschland steht in einer doppelten Verantwortung: einerseits als Land, dessen industrielle Vergangenheit viel zum Klimawandel beigetragen hat, andererseits als Land der Energiewende, das weltweit als Vorbild wahrgenommen wird. Deutschland hat in Paris die Chance zu zeigen, dass die konsequente Senkung des CO2-Ausstoßes auch in einem komplexen Wirtschaftssystem machbar ist.

Aber es gibt Streit um die Ausgestaltung der Energiewende.
Leider. Man kann zurzeit von einem „Endspiel um die Kohle“,  besonders um die Braunkohle, sprechen. Aber zum Umbau der Energiewirtschaft gibt es keine Alternative. Als Kirche sprechen wir uns für einen sozialverträglichen Ausstieg aus der klimaschädlichen und gesundheitsgefährdenden Kohleverstromung bis spätestens 2040 aus.

Ist das realistisch?
Auf jeden Fall – nicht nur technisch, sondern auch sozialverträglich. Und die Versorgungssicherheit wird dabei nicht gefährdet. Das belegen zahlreiche Studien.

Es gab ja schon etliche Beschlüsse zum Klimaschutz. Trotzdem steigt der Kohlendioxid-Ausstoß weiter. Die Menschen schätzen große Autos, Flugreisen, einen hohen Lebensstandard. Und der ist ohne hohen Verbrauch von ökologischen  Ressourcen kaum zu haben…
Man muss klar sehen, es gibt nicht die Menschen. Wir müssen hier genauer hinschauen. Es gibt die  Menschen, die in Wohlstandsgesellschaften leben und sich einen hohen Lebensstandard leisten können, und es gibt die Menschen, die knapp über oder unter der Armutsgrenze leben – und das ist die  Mehrheit. Die Zerstörung der Umwelt, insbesondere der Klimawandel, ist nicht nur die Folge einer ungezügelten Herrschaft des Menschen über die Natur, sondern eine Folge wirtschaftlicher und politischer Machtausübung von Menschen über Menschen. Die, die am wenigsten zum Klimawandel beigetragen haben, sind schon heute am stärksten von dessen Auswirkungen betroffen: von Dürren, Überschwemmungen, Taifunen. In weiten Teilen unserer Welt verstärkt der Klimawandel Armut und verhindert eine menschenwürdige Entwicklung. Das ist ungerecht und nicht zukunftsfähig. Deshalb ist dringend Umkehr nötig.

Was heißt das: Umkehr?
Das heißt: In Paris müssen glaubwürdige politische Maßnahmen gegen den Klimawandel und zur Unterstützung der Schwächsten vereinbart werden. Die kostenlose Verschmutzung der Atmosphäre mit Treibhausgasen muss drastisch einschränkt werden etwa durch Grenzwerte oder Emissionsabgaben. Unverzichtbar bleibt die Förderung erneuerbarer Energien. Alle Subventionen müssen auf ihre Umwelt- und Klimaverträglichkeit hin geprüft werden. Hierzu gehört unter anderem der Flugverkehr. Notwendig ist auch eine andere Verkehrspolitik, damit zumindest in Ballungsräumen das Auto stehen bleibt oder besser gar nicht angeschafft wird….

Also muss ein Wandel in den Köpfen her?
Sicher, denn unser Wohlstand ist nicht verallgemeinerungsfähig, wir bräuchten dazu vier Erden. Also müssen die, die mehr als genug haben, auf einen Teil ihres Reichtums verzichten. Es kann helfen, wenn wir uns bewusst machen, was alles überflüssig, nicht notwendig ist.  „So viel Du brauchst“ – unter diesem Motto laden wir auch 2016 wieder zwischen Aschermittwoch und Ostersonntag zum Fasten für Klimaschutz und Klimagerechtigkeit ein. Die Fastenzeit ist ein guter Anlass auszuprobieren, anders zu leben, weniger zu verbrauchen, bewusst achtsamer zu sein gegenüber uns selbst, unseren Mitmenschen und der Umwelt. Es ist beeindruckend zu entdecken, wie viel wir gewinnen, wenn wir versuchen, anders zu leben.

Welche Bedeutung haben die Kirchen beim Klimaschutz?
Ich bin froh, dass sich die Landessynode erneut intensiv mit dem Klimagipfel in Paris beschäftigt und ein umfangreiches Positionspapier verabschiedet hat. Weil Klimaschutz grundlegend für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung ist, unterstützen wir eine glaubwürdige Politik für Klimaschutz und nachhaltige Entwicklung. Glaubwürdig müssen auch wir sein. Deshalb richten wir das kirchliche Handeln immer konsequenter an ökologischen und fairen Kriterien aus. In der westfälischen Kirche gibt es dazu etwa die Initiativen „Grüner Hahn“ und „Zukunft-einkaufen“ sowie unsere „Klimaschutzstrategie EKvW 2020“. Ganz besonders freue ich mich, wie viele Menschen sich am ökumenischen Pilgerweg für Klimagerechtigkeit von Flensburg nach Paris beteiligen, der unter Schirmherrschaft unter anderem von Präses Annette Kurschus stattfindet. „Geht doch!“ – das ist sein Motto. Ich hoffe sehr, dass die Verantwortlichen dieser Aufforderung auf dem Klimagipfel in Paris nachkommen und sie in echten Klimaschutz umsetzen werden. (Siehe auch Seiten 4 und 7.)