Bücher, Bücher, Bücher, darum geht es seit 70 Jahren einem Verband aus Niedersachsen. Damit will er das Evangelische zu den Menschen bringen.
Göttingen. Das Alphabet reicht von „A“ wie „Anderssein“ über „B“ wie „Bewahrung der Schöpfung“ bis „W“ wie Werte.“ Hinter diesen Stichworten verbergen sich Literaturlisten. Und diese Literaturlisten werden erstellt vom Evangelischen Literaturportal.
Das Evangelische Literaturportal ist ein Verein. Als dieser 1952 – vor 70 Jahren – gegründet wurde, hieß er noch „Deutscher Verband Evangelischer Büchereien“. 2008 bekam er mit einem Internetauftritt auch einen neuen Namen: „Evangelisches Literaturportal – Verband für Büchereiarbeit und Leseförderung.“ Seit 1979 vergibt der Verband jährlich am Mittwoch vor Pfingsten den Evangelischen Buchpreis. In diesem Jahr erhält die mit 5000 Euro dotierte Auszeichnung Nikola Huppertz für ihr Jugendbuch „Schön wie die Acht“.
Bücher über Miteinander von Gott und Menschen
Der Evangelische Buchpreis ist ein Publikumspreis – die Vorschläge werden also nicht von Literaturexpertinnen und -experten erstellt, sondern von ganz normalen Leserinnen und Lesern. 124 sind es diesmal, die im Göttinger Büro dafür eingegangen sind: Jugendbücher, Sachbücher, Romane, Kinderbücher hat die siebenköpfige Jury dafür gelesen. „Gesucht werden Bücher, die dazu anregen, über uns selbst, unser Miteinander und unser Leben mit Gott neu nachzudenken“, so Ralf Meister über die Würdigung. Der Landesbischof der Landeskirche Hannovers ist Vorsitzender des Literaturportals.
„Wir sind an der Schnittstelle zwischen Kultur- und Wertevermittlung“, sagt Marie Varela. Sie arbeitet in der Geschäftsstelle des Vereins in Göttingen. Zu sechst sind sie hier, es gibt zwei Hunde in Teilzeit, eine Teeküche, knarzenden Dielenboden und jede Menge Bücherstapel. Bücher, die an die etwa 120 Freiwilligen geschickt werden, die sie lesen und Rezension dazu verfassen. Regelmäßig gibt das Literaturportal Themenhefte heraus, die Rezensionszeitschrift „Der Evangelische Buchberater“ versendet Newsletter an Büchereien, Kitas, Kirchengemeinden, dazu kommt ein Hörbuch-Newsletter und ein „Schau-mal-Newsletter“ über Bilderbücher mit Themen über den „Kinderalltag“ oder das Kirchenjahr. Zudem ist das Evangelische Literaturportal der Dachverband der evangelischen öffentlichen Büchereien in Kirchengemeinden und Krankenhäusern. Etwa 800 sind es heute in Deutschland. Überwiegend werden diese ehrenamtlich geleitet.
„Wir empfehlen gute Bücher. Ein gutes Buch zeichnet für mich aus, dass darin existenzielle Themen aufgegriffen werden, wie ja auch in der Bibel die ganze Bandbreite menschliche Grunderfahrungen verhandelt wird“, sagt Wiebke Mandalka. Sie ist Geschäftsführerin des Literaturportals. Als „Freude“, aber auch als „Kunst“ bezeichnet sie es, Literatur und Bibel in den Dialog zu bringen. Dafür erarbeitet der Verein auch Literaturgottesdienste.
„Wir versuchen besonders an junge Familien heranzutreten“, erklärt Marie Valera. „Denn was in den Familien gelebt wird, das bleibt.“ Sie beobachtet, dass viele Familien „etwas weitergeben“ wollten aus der Kirche. „Sie fragen: ‚Wie funktioniert das? Muss ich in den Gottesdienst gehen? Wie komme ich ins Gespräch über Gott und die Welt?‘“. Antworten gibt das Literaturportal durch die Angebote „Willkommen in Gottes Welt“ und „Lesen in Gottes Welt“. Ersteres ist ein Bilderbuch im liebevoll gestalteten Stoffbeutel zur Taufe, zweiteres eine Schultüte, gefüllt mit einem Erstlesebuch.
Auch die Bibel ist Weltliteratur
Aber warum gehört zur Evangelischen Kirche ein derartiger Verein? „Das Christentum ist eine Religion des Wortes. Die Bibel ist Weltliteratur. In ihr angelegt sind bereits viele literarische Gattungen vom Krimi bis zur Liebeslyrik. Wie die Bibel öffnet Literatur Gedankenräume. Sie kann sehr glücklich machen, aber auch ordentlich Sprengstoff enthalten, lädt ein zum Perspektivwechsel, zum Nachdenken über die Frage, wie man selbst in dieser Welt steht“, sagt Wiebke Mandalka. „Das sind alles Fragen, die wir auch in der Bibel finden: Warum gibt es Ungerechtigkeit auf der Welt? Wie viel Eigenverantwortung erwartet Gott von mir?“
Die Worte der Bibel hätten eine besondere, lang wirkende Kraft. „Man muss sich ihr öffnen.“ Literatur sei ein „Türöffner“ und „Brückenbauer“ zur Bibel. Zwischen „A“ wie Anderssein und „W“ wie „Werte“ stehen Schlagworte wie „Generationen“, „Interkulturalität“ und „Religionen“ – und vielfältige Bücherlisten.
Die Poesie der Mathematik
Die Preisträgerin des diesjährigen Evangelischen Buchpreises über ihr Buch „Schön wie die Acht“
Am 1. Juni bekommt Nikola Huppertz den Evangelischen Buchpreis 2022 für ihr Jugendbuch „Schön wie die Acht“ in der Marktkirche Wiesbaden verliehen. Catharina Volkert wollte wissen, wie evangelisch ihr Buch ist.
Was mögen Sie an der Acht?
Nikola Huppertz: Die Acht ist durch Symmetrie und Ordnung charakterisiert. Nicht nur äußerlich, sie lässt sich an zwei Symmetrieachsen spiegeln, sondern auch ihrem inneren Aufbau nach. Sie ist Kubikzahl, sie umfasst eine vollständige Tonleiter, gibt uns Orientierung in Form unserer Himmelsrichtungen. Nicht zuletzt gleicht ihre Ziffer dem Zeichen für Unendlichkeit. Um mit Malte aus „Schön wie die Acht“ zu sprechen: „Keiner kann sagen, das wär nicht schön.“
Sie erhalten den Evangelischen Buchpreis 2022. Was heißt „evangelisch“ für Sie? Wie evangelisch empfinden Sie sich?
Ich bin nicht religiös und empfinde mich deshalb weder im konfessionellen Sinn noch im direkten Bezug auf die Frohe Botschaft als evangelisch. Allerdings bin ich durch den Besuch eines Bischöflichen Gymnasiums nicht nur mit den vier Evangelien und ihren jeweiligen Blickwinkeln auf die Heilsgeschichte vertraut, sondern auch mit ihrer humanistischen Grundhaltung. Und ich sehe viele Berührungspunkte im Umgang mit den Fragen nach einem guten und menschenwürdigen Dasein sowie in der Sicht auf andere.
Schreibend bemühe ich mich am Beispiel meiner Figuren jeden Tag um Mitgefühl für die Menschen, die sich von mir unterscheiden und – genau wie ich selbst – mit individuellen Schwächen ringen.
… und Ihr Buch?
Es greift aus Maltes Sicht genau die oben geschilderten Fragen auf. Zu Beginn der Pubertät stellen sie sich ihm in geballter Form. Aus einer klar in gut und schlecht, logisch und unlogisch, nett und doof geordneten Kinderwelt purzelt er in Erlebnisse hinein, die sich seinen vertrauten Kategorien entziehen. In der Auseinandersetzung mit seiner Halbschwester Josefine verändert sich sein Blick auf sich selbst und seine Eltern, auf Freundschaft, Familie und Liebe und auch auf unsere Schattenseiten wie Schuld, Eifersucht, Unsicherheit und Angst. Ihm wird klar, dass alle Menschen Fehler machen.