Anhand von Gemälden greift Pfarrer Ralf-Günther Schein die Themen der Adventssonntage, von Weihnachten und der Epiphanias-Zeit auf. Welche Botschaft setzen die Künstler mit welchen Mitteln um? Welche Frage stellen die Kunstwerke an die Betrachtenden? Im ersten Teil der Reihe geht es am 3. Advent um ein Bild des malenden Dominikaner-Mönchs Meister Francke (um 1380–1436).
Seit frühchristlicher Zeit wird eine Grotte bei Bethlehem als Geburtsort Jesu verehrt. Eine Höhle als Stall, das findet sich – vor allem in der Ostkirche – auf vielen Weihnachtsbildern. Daneben haben apokryphe Evangelien die Bildtradition stark beeinflusst. Bei Apokryphen handelt es sich um religiöse Schriften jüdischer oder christlicher Herkunft aus der Zeit zwischen etwa 200 vor bis circa 400 nach Christus, die nicht in einen biblischen Kanon aufgenommen wurden.
Als das Licht geboren wurde
In einem lateinischen Kindheitsevangelium aus dem 2. Jahrhundert heißt es zum Beispiel: „Als aber das Licht hervorgekommen war, betete Maria den an, den sie geboren hatte. Vom Kind aber gingen Strahlen aus, wie die Strahlen der Sonne. Und rein war das Kind, liebreich anzuschauen und es verbreitete Frieden … Und Licht war in der Höhle, helles Licht …verbreitete sich. So wurde das Licht geboren. Es war wie Tau, der vom Himmel herabkommt.“ Daneben hatte auch Birgitta von Schweden (1303–1379), katholische Heilige, Ordensgründerin und Mystikerin, großen Einfluss auf Darstellungen vieler Weihnachtsbilder. In einer Vision an der Geburtsgrotte im Heiligen Land sah sie Maria und das nackte Kind vor der Grotte liegen und der Ort war voller Licht.
Ein malender Domenikaner-Mönch aus Hamburg
All das beeinflusste vermutlich auch Meister Francke (um 1380–1436), einen malenden Dominikaner-Mönch aus Hamburg. Er hatte nach 1424 den Auftrag, für die Hamburger Kaufmannschaft der Englandfahrer einen Altar zum Leben des heiligen Thomas von Canterbury (1118–1170) zu malen. Der Lordkanzler Englands und Erzbischof von Canterbury wurde nach einem Streit mit dem englischen Königshaus über die Kirche und ihre Rechte von Rittern des Königs Heinrich II. in der Kathedrale von Canterbury ermordet. Neben Bildern mit Stationen zu Thomas zeigt der Altar von Meister Francke auch Bilder zum Leben Jesu. Darunter ist für mich eines der zartesten und innigsten Weihnachtsbilder, das in der Hamburger Kunsthalle ausgestellt ist.
In warmen Farben aus Rot und Gold, Weiß und Grün ist das Bild gemalt. Vor allem der rot bestirnte Himmel ist über das Gotteskind ausgebreitet. Maria ist in einem weißen Gewand, zum Zeichen ihrer Reinheit, als Anbetende gemalt. Bergend halten Engel einen tiefblauen Umhang um die Geburtsszene. Der Engel im Vordergrund spannt einen rot leuchtenden Flügel schützend über das nackte, auf der Erde liegende Neugeborene.
In den tiefsten Abgründen unseres Menschseins
Dahinter sehen wir den Eingang einer Höhle. Ihr Inneres ist unseren Augen verborgen. Höhlen galten oft als gefährliche Orte, in denen die Dämonen der Angst und des Todes herrschen. Dicht vor dieser Grotte steht eine Futterkrippe, aus der Ochs und Esel fressen. Doch sie erinnert eher an einen Sarkophag als an eine Krippe. Meister Francke lässt die Menschwerdung Gottes aber gerade an diesem unwirtlichen Ort beginnen. Denn in die tiefste Dunkelheit, in die Abgründe unseres Menschseins, zwischen Leiderfahrungen und Kriegsgeschrei, Gewaltspiralen und tierischen Ängsten kommt Jesus zur Welt.

Nackt, hilflos, bedürftig wird er Mensch und wirbt für das Menschliche, Frieden Stiftende und Barmherzige. Er ist in seiner Wehrlosigkeit zugleich jenes Licht, das alles überstrahlt und verwandelt. Unzählige Strahlen gehen von Mutter und Kind aus, erhellen die Erde und verbinden sich mit dem Licht, das vom Mund Gottes ausgeht. Ja, Gottes Wort, das Licht schafft, steht am Anfang der Schöpfung und strahlt hier hinab in die Tiefe, um Himmel und Erde zu verbinden.
Himmel wie weihnachtliches Geschenkpapier
Seltsam glüht der Himmel in einem warmen Rot, an dem die Sterne voller Ordnung aufgereiht sind. Vielleicht ist er ein Sinnbild für Gottes glühende Liebe zum Leben und den geordneten Kosmos. Unseren heutigen Augen erscheint der rote Himmel wie weihnachtliches Geschenkpapier. Darunter liegt das Geschenk Gottes „ausgewickelt“ vor uns: seine Mensch gewordene Liebe, die uns sucht und unser Leben heilen will. Auf der oberen rechten Seite des Bildes bringt ein Engel diese Botschaft den Hirten, in ihren Alltag und ihre Armut und verbindet es mit dem Lob Gottes. Den Hirten gegenüber steht ein einzelner kräftiger Baum auf einem kargen Hügel. Er kann uns an den Baum des Lebens erinnern. Doch seit Adam und Eva ist der Zugang zum Paradies versperrt. Mit der Geburt Jesu aber weist Gott auf eine „Neueröffnung“, auf eine neue Schöpfung, auf ein Neu-Werden des Lebens.
Gegen alle Herzenskälte
Dazu bekennt sich auch anbetend Maria, an deren Mund ein Schriftband die Mitte des Bildes darstellt. „Dominus meus et Deus meus“ ist darauf zu lesen. Auf Deutsch: „Mein Herr und mein Gott.“ Dies ist eigentlich das Bekenntnis, welches der Jünger Thomas vor dem auferstandenen Christus ablegt (Johannes 20,28). Auch Birgitta von Schweden legte in ihrer Vision Maria diese Worte in den Mund. Das Schriftband mit diesem Bekenntnis endet als eine liegende Acht und ist damit ein Ewigkeitssymbol.
Beim Betrachten und Lesen des Bildes werden auch wir in dieses Bekenntnis zu Christus hineingenommen. Er, unser „Herr und Gott“, ist in unsere menschliche Haut geschlüpft, damit seine menschliche Gegenwart unseren Alltag und unser Herz erfüllt. Gegen alle Herzenskälte will seine Menschlichkeit unserem Handeln Hand und Fuß geben, Hoffnung und Frieden, Licht und Leben uns als endliche Menschen beschenken mit Gottes Unendlichkeit.
Das Gemälde “Die Anbetung des Kindes” ist Teil des Thomasaltars von Meister Francke 1426 und in der Hamburger Kunsthalle ausgestellt.