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75 Jahre Zeitansage – Jubiläum des Evangelischen Kirchentags

Der Deutsche Evangelische Kirchentag wurde 1949 als christliche Laienbewegung gegründet. Bis heute ist es alle zwei Jahre “das” maßgebliche Treffen für Protestanten. Die Geschichte in Ost und West verlief indes ungleich.

Es ist das wichtigste Ereignis des deutschen Protestantismus: Alle zwei Jahre, zuletzt 2023 in Nürnberg und im kommenden Jahr dann in Hannover, treffen sich Zehntausende evangelische Christen zum Deutschen Evangelischen Kirchentag. Mit Bibelarbeiten, Gottesdiensten und Konzerten setzen sie ein eindrückliches Zeichen ihres Glaubens.

Gegründet wurde der heutige Deutsche Evangelische Kirchentag vor 75 Jahren – 1949 in Hannover. Doch Kirchentage gab es auch schon vor dem Zweiten Weltkrieg: 1848 fand unter dem Namen “Deutscher Evangelischer Kirchentag” eine Versammlung evangelischer Männer in Wittenberg statt, die im Umfeld der damaligen Revolutionen einen deutschen evangelischen Kirchenbund gründen wollte. Bis 1872 traf man sich regelmäßig. Doch die damalige Unvereinbarkeit von altpreußischer Union und Lutheranern verhinderte eine Fortführung.

In der Zeit des Nationalsozialismus gab es dann im Umfeld der Bekennenden Kirche Christentreffen, die als Vorläufer der heutigen Kirchentage gelten können. 1932 etwa organisierte Reinold von Thadden-Trieglaff, ein kirchlich hoch verbundener Jurist aus der damals preußischen Provinz Pommern einen Kirchentag mit 20.000 Teilnehmern in der Hafenstadt Stettin. Nach dem Zweiten Weltkrieg war es wiederum von Thadden-Trieglaff, der die Kirchentagsbewegung gründete, um Laien eine stärkere Stimme zu geben und politische sowie geistliche Themen zu adressieren.

An ihn wird erinnert werden, wenn der Deutsche Evangelische Kirchentag an diesem Wochenende im pommerschen Greifswald mit Gottesdiensten, Konzerten und einer Fachtagung sein 75-jähriges Bestehen begeht. Dabei soll es vor allem um die Rolle des Kirchentags in der Friedensbewegung gehen. “Das Motto ‘Friede sei mit dir’ ist ein persönlicher Segenswunsch, aber auch das innige Gebet um den so bedrohten Frieden auf unserer Welt”, sagt der Bischof der Nordkirche im Sprengel Mecklenburg und Pommern, Tilmann Jeremias. “Dazu wollen wir mit möglichst vielen Menschen auf dem Marktplatz ein unübersehbares Zeichen setzen.”

Gedacht werden soll in Greifswald dabei aber nicht nur der westdeutschen Geschichte. “Der Kirchentag wird in der öffentlichen Wahrnehmung wie in der Forschung gerne mit der westdeutschen Tradition gleichgesetzt”, sagt der Greifswalder Kirchenhistoriker Tillmann Kuhn. “Diese Veranstaltungen waren häufig dominiert von politischen Themen wie der Wiederbewaffnung oder dem Nato-Doppelbeschluss.” Sichtbar gemacht wurde das etwa durch die lila Tücher: 1983 färbten sie die Tribünen des Niedersachsenstadions in Hannover in ein lila Meer, das als Ausdruck eines Widerstands gegen nukleare Aufrüstung galt.

“Zu wenig denkt man dabei an die ostdeutsche Tradition der Kirchentage, die kleiner und weniger politisch waren”, so Kuhn. Denn von 1962 bis 1989 fanden auch in der DDR anfangs jährlich, später in zweijährigem Abstand Kirchentage statt, die oft in mehreren Orten parallel durchgeführt wurden, aber in ihrer Größe zuweilen die westdeutschen Maßstäbe erreichten. 1983 etwa versammelten sich rund 100.000 Menschen zum Abschlussgottesdienst des Kirchentags in Dresden. Dort wurde vor allem die damalige Umweltbewegung in den DDR-Kirchen sichtbar, etwa mit einem grünen Kreuz aus Salatköpfen, das in der Kreuzkirche aufgebaut war.

Welche Bedeutung die Kirchentage einstmals hatten, zeigt sich auch daran, dass aus solchen Wurzeln später die friedliche Revolution 1989 und die deutsche Wiedervereinigung wachsen sollten. Dass der Kirchentag heute ebenfalls noch eine Zeitansage sein kann, wurde zuletzt 2019 im Dortmunder Westfalenstadion deutlich. Damals rief Pastorin Sandra Bils im Abschlussgottesdienst mit den Worten “Man lässt keine Menschen ertrinken. Punkt” dazu auf, kirchliche Rettungsschiffe ins Mittelmeer zu entsenden. In den Folgejahren entstand eine ganze Flotte, die seitdem Tausende Migranten auf ihren Schlauchbooten vor dem Untergang im Meer bewahrt haben.