Ist ein Wasserglas halb leer oder halb voll? Ein und derselbe Sach- verhalt kann sehr unterschiedlich verstanden werden. Daran fühlt man sich erinnert, wenn man die jüngste Studie zur Zukunft der Kirchen in Deutschland anschaut – und die Reaktionen darauf (Seite 2).
Was sagt die Studie? Bis zum Jahr 2060 wird sich deutschland- weit die Mitgliederzahl in der ka- tholischen und den evangelischen Kirchen auf etwa die Hälfte verrin- gern. Die Kirchensteuereinnah- men bleiben gleich; weil aber ganz allgemein Preise, Kosten und Ge- hälter steigen, bleibt den Kirchen 2060 nur die Hälfte der Finanz- kraft übrig.
Nun der Knackpunkt: Dass im- mer weniger Menschen in der Kirche sind, haben auch Fachleu- te bisher vor allem der allgemeinen Bevölkerungsentwicklung zu- geschrieben. Sprich: Mehr Men- schen sterben, weniger werden geboren. Daran kann man wenig ändern.
Die Studie zeigt nun aber, dass der Rückgang der Mitgliederzahlen in den Kirchen viel weniger von der Bevölkerungsentwicklung abhängt als vermutet. Stattdes- sen spielen Kirchenaustritte und nachlassende Taufbereitschaft eine Rolle. Heißt: Stärker als an- genommen geht der Schwund auf Entscheidungen der Menschen zurück.
Und nun die Preisfrage: Ist das gut oder schlecht? Tageszeitungen und Fernsehsender kommentier- ten: Die Menschen wenden sich von der Kirche ab. Ausblick: Es geht dem Ende entgegen.
Reaktionen aus den Kirchen fie- len dagegen ganz anders aus: Wie ermutigend! Am Bevölkerungs- schwund konnten wir nichts än- dern; aber die Menschen zum Blei- ben zu überzeugen, zur Taufe oder zum Kircheneintritt, das ist mög- lich – was für eine Chance!
Ein Glas kann halb leer sein – oder halb voll.
Natürlich könnte man sich da- mit abfinden, dass die Zahlen klei- ner werden. Man könte sagen: Die Zeit der Volkskirche geht zu Ende.
Aber wer sich nicht damit ab- finden will, weil er – oder sie – viel- leicht findet, dass die Kirche nach wie vor segensreich wirken kann, trotz aller Mängel und schlim- men Verfehlungen. Dass die Kir- che trotz allem einen guten und heilsamen Einfluss auf den Men- schen und die Gesellschaft hat. Wer glaubt, dass es tausend gute
Gründe gibt, in dieser Kirche zu bleiben, den christlichen Glauben zu leben oder es wenigstens zu versuchen; der sollte sich fragen: Wenn diese Studie eine Chance aufzeigt – ja wie, um Himmels wil- len, können wir diese Chance er- greifen? Es ist ja nicht so, dass die Kirchen bisher die Hände in den Schoß gelegt hätten.
Wir müssen umdenken. Nicht mehr so sehr fragen: Warum ver- lassen die Menschen die Kirche. Sondern: Warum bleiben sie? Denn es gibt ja Orte, wo kirchli- ches Leben gelingt. Und zwar gar nicht wenige. Diese Zeitung, UK, die Zeitung mit der Guten Nach- richt, berichtet seit vielen Jahren davon. Von solchen Beispielen ler- nen und sich inspirieren lassen – da müssen wir noch stärker hin- schauen als bisher.
Da liegt Zukunft.