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100 Jahre “Fröhlicher Weinberg”: Beifallsstürme und Stinkbomben

Ein alternder Winzer will seine Tochter mit einem arroganten, deutschnationalen Studenten verheiraten. Sturzbetrunkene Kriegsveteranen, jüdische Weinhändler und Kleinbürger feiern und beleidigen einander als „Säubutz“ und „Hutschebebbes“. Man prügelt und versöhnt sich. Und am Ende der durchzechten Nacht entwirren sich allerlei Liebesbeziehungen. Carl Zuckmayers Komödie „Der fröhliche Weinberg“ avancierte in der Weimarer Republik zu einem der populärsten und am meisten aufgeführten Theaterstücke Deutschlands. Vielerorts sorgte es allerdings auch für wütende Proteste. 100 Jahre nach der Uraufführung im Jahr 1925 in Berlin widmet Zuckmayers Heimatregion Rheinhessen dem einst verfemten Dichter und seinem Stück ein Themenjahr.

Die Berliner Schauspielerin Käthe Haack erinnerte sich später an jenen Premierenabend im Dezember 1925, an dem sie im Berliner Theater am Schiffbauerdamm erstmals in der Rolle der Winzertochter Klärchen Gunderloch auf der Bühne stand: „Das wundervolle alte, kluge Berliner Publikum saß unten, und jede Pointe kam an, und es prasselten die Beifallsstürme.“ Zuvor hatte der 1896 in Nackenheim südlich von Mainz geborene Zuckmayer lange niemanden gefunden, der seine volkstümliche Komödie inszenieren wollte.

Das Lustspiel in drei Akten ändert alles für ihn: Zuckmayer erhält für den „Fröhlichen Weinberg“ den Kleist-Preis, die wichtigste Literatur-Auszeichnung der Weimarer Republik. Bald schon bewerben sich über 100 Theater in ganz Deutschland um die Aufführungsrechte. Der zuvor kaum bekannte Autor feiert mit dem „Schinderhannes“ und dem „Hauptmann von Köpenick“ weitere Theatererfolge. 1933 dann verbieten die Nationalsozialisten alle Werke des Dramatikers mit jüdischen Wurzeln, 1938 emigriert er in die USA. Er stirbt 1977 in der Schweiz.

In seiner Heimat führt das Mainzer Staatstheater 1926 den „Fröhlichen Weinberg“ auf. Doch hier ist das Echo nicht nur positiv. Wütende Bauern und Winzer protestieren mit Dreschflegeln und Mistgabeln vor dem Theater, das von einem Großaufgebot der Polizei gesichert wird. Die Nackenheimer fühlen sich als einfach gestrickte, dem Wein zugeneigte Provinzler verunglimpft.

Erschwerend kommt hinzu, dass der Winzer Gunderloch aus der Weinberg-Posse einen ganz realen Namensvetter im echten Nackenheim hat. Der regt sich so über das Zuckmayer-Stück auf, dass er einen Herzanfall erleidet. „Carlche komm nach Nackenheim, Du sollst uns hoch willkommen sein! Wir schlagen krumm und lahm dich all und sperrn dich in de Schweinestall, denn do gehörst de hi’“, zitiert der Dramatiker in seiner Autobiografie ein Spruchband, auf dem ihm seine demonstrierenden Landsleute unverhohlen drohen.

Beleidigte Winzer bleiben nicht die einzigen Gegner des Klamauks. Auch rechte Kreise und Kriegsveteranen protestieren. Die Darstellung des hinterlistigen Beinahe-Bräutigams und deutschnationalen Studenten Knuzius, der sich im dritten Akt auf dem Misthaufen wälzt, bringt die Corpsstudenten in Rage. In manchen Theatern kommt es zu Störungen mit lauten Zwischenrufen und Stinkbomben.

„Es waren keineswegs alle Nackenheimer gegen Zuckmayer“, sagt Bardo Kraus von der Carl-Zuckmayer-Gesellschaft. So habe es schon Ende der 1920er Jahre im Ort eine Gastwirtschaft „Zum fröhlichen Weinberg“ gegeben. Doch wirklich überwunden wird die feindselige Haltung gegen den Dichter erst nach dem Zweiten Weltkrieg: Erstmals gibt es einen Bürgermeister, der nicht aus einer Winzerfamilie stammt. Wenige Jahre später wird Zuckmayer bereits zum Ehrenbürger seiner Heimatgemeinde ernannt.

„Der fröhliche Weinberg“ sei der „vollen Lust am Komischen“ und der Liebe zu den Menschen in Rheinhessen und ihrer Mentalität entsprungen, sagte Zuckmayer Jahrzehnte später im Rückblick. Aber auch damals in den 1920er Jahren habe er schon diejenigen gefährlichen Kräfte in den Blick genommen, die das Land später während der NS-Zeit in den Untergang führten: „Nicht nur die wilden Weingeister, auch diese schlimmeren Geister rumoren schon im Weinberg von 1925. Damals glaubten wir noch, sie aus vollem Hals mit der souveränen Gewalt des Humors weglachen zu können – bis es eines Tages nichts mehr zu lachen gab.“

Der rheinhessische Buchautor Volker Gallé sieht im „Fröhlichen Weinberg“ ein „demokratisches Fest“. Zuckmayer beschreibe eine Gesellschaft, in der die Menschen zwar auch aneinandergeraten, letztlich aber die Mentalität von „Leben und leben lassen“ die Oberhand behalte: „Das ist gute rheinische, demokratische Tradition.“

Dass das Theaterstück anfangs im Milieu der modernen Großstadtbürger besser angekommen sei als in Zuckmayers Heimat, sei dennoch nicht verwunderlich. Heute ist es eher umgekehrt: Vielen gilt Zuckmayer mittlerweile als Heimatdichter, eine Einstufung, die seinem Werk nicht gerecht wird.

Den 100. Jahrestag des „Fröhlichen Weinbergs“ feiert nun die ganze Region zwischen Mainz, Bingen und Worms mit dem „Themenjahr Alles Carl“ und Vorträgen, Theater- und Filmabenden. Unter anderem gibt es eine Neuinszenierung des Zuckmayer-Stücks auch am Schauplatz des Geschehens, in Nackenheim.