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„Zunehmende Verknappung“

Teufelskreis: Es fehlt an qualifiziertem Personal. Um diesen Zustand zu ändern, müssten sich die Arbeitsbedingungen verbessern. Das aber wiederum geht nur mit mehr Pflegekräften

FRANKFURT A. M. –  Um Patienten besser zu versorgen und Pfleger zu entlasten, kämpft die Gewerkschaft Verdi für mehr Personal in der Krankenpflege. Doch gibt es auf dem Arbeitsmarkt überhaupt genug Pflegekräfte? Bereits jetzt haben 51 Prozent der deutschen Krankenhäuser Probleme, offene Stellen im Pflegedienst der Normalstationen zu besetzen. Im Intensivbereich waren es Ende 2016 sogar 53 Prozent, wie das Deutsche Krankenhaus Institut in einer aktuellen Studie bilanziert.
In den meisten ostdeutschen Bundesländern gebe es „Engpässe“, stellt die Bundesagentur für Arbeit in ihrer jüngsten Analyse zum Fachkräfteengpass vom Juni 2017 fest. Brandenburg und sämtlichen westdeutschen Bundesländern bescheinigen die Arbeitsmarktanalytiker sogar „Fachkräftemangel“.
Deutlich sichtbar wird dieser Mangel in den Statistiken: Deutschlandweit kommen auf 100 gemeldete Stellen 69 gemeldete Arbeitslose. Tatsächlich dürfte die Zahl freier Stellen dreimal höher liegen als bekannt. Denn die Bundesagentur für Arbeit geht davon aus, dass ihr nur eine von drei freien Stellen gemeldet wird.
Derzeit dauert eine Vakanz bei Krankenpflegern im Schnitt 140 Tage – und damit 40 Tage länger als im Durchschnitt aller Berufe. Die Arbeitsmarkt-Statistiker stellen eine „zunehmende Verknappung“ fest, die bis 2035 zum Pflegenotstand anwachsen könnte.
Eine Schätzung zur Zahl qualifizierter, aber aktuell nicht verfügbarer Krankenpflegekräfte gibt die Bundesagentur öffentlich nicht ab. Zur sogenannten „stillen Reserve“ zählen beispielsweise Frauen, die mit der Geburt eines Kindes aus der Krankenpflege ausgeschieden sind. Doch gerade sie sind schwer in den Rund-um-die-Uhr-Betrieb der Krankenhäuser zu integrieren, meinen Experten. Denn die Frauen der „stillen Reserve“ hätten oft Kinder zu betreuen oder Angehörige zu pflegen und könnten daher bestenfalls in Teilzeit arbeiten.
Zudem setzen viele Klinikträger auf „berufsspezifische Zuwanderung“. Doch davor warnen Hilfsorganisationen wie „Brot für die Welt“ oder Caritas International: „Man darf die Herkunftsländer nicht als Steinbruch begreifen“, sagt Gernot Krauß, Osteuropareferent der Caritas. Und Mareike Haase von „Brot für die Welt“ erklärt mit Blick auf mögliche Folgen: „Wenn Deutschland Gesundheitsfachkräfte aus Ländern wie Bosnien oder Tunesien abwirbt, schwächt das die Versorgung dort und könnte dazu führen, dass weitere Menschen ihre Heimat verlassen.“ Damit könnte die Migration ausgerechnet aus Ländern zunehmen, die im Zuge der Flüchtlingskrise zu „sicheren Herkunftsstaaten“ (Bosnien) erklärt wurden oder dafür im Gespräch sind wie Tunesien.
Einig sind sich die meisten Experten in Deutschland in der Forderung, Pflegeberufe insgesamt attraktiver zu machen. Doch dazu müssten körperliche Belastung, Arbeitsumfang und Stress sinken. „Letztlich“, notiert das Bundesinstitut für Berufsbildung, „ist diesem Problem aber nur durch mehr Personal zu begegnen.“