Wie der Faschismus in die bayerischen Dörfer kam: Davon erzählen 180 spannende, anrührende und präzise in Szene gesetzten Filmminuten nach einem Roman von Oskar Maria Graf.
Sich nicht einlassen oder einmischen, weder für noch gegen jemanden sein, nichts von anderen wollen, aber auch niemandem ein Unrecht tun, sich raushalten: Das ist die Devise des Schusters, wie er in leichten Variationen immer wieder erklärt. Dieser Kraus ist “der Friedfertige” in Oskar Maria Grafs Roman “Unruhe um einen Friedfertigen” von 1947, den Drehbuchautorin Hannah Hollinger und Regisseur Matti Geschonneck nun fürs Fernsehen adaptiert haben. Der Zeitpunkt scheint leider recht passend, erzählt der Zweiteiler “Sturm kommt auf” doch davon, wie in wirtschaftlich schwierigen Zeiten das Gift des Faschismus in eine (Dorf-)Gemeinschaft einsickert. Das ZDF strahlt die zwei 90-Minüter am 10. November zwischen 20.15 und 21.45 Uhr sowie 22.00 und 23.30 Uhr aus.
Das, was der Schuster ablehnt, nennt er mit einem wohl selbst erfundenen Wort “A-bopa”: “Damit meint man alles, was einem rechtschaffenen Menschen das Leben verbittern kann… Mit einem Wort, die ganzen Widerwärtigkeiten vom Staat, von den Ämtern, vom Gericht und der Polizei – das ist A-bopa… Auf so was muss man sich nicht einlassen”, so erklärt er es im Roman der sonntäglichen Dorfrunde.
Und klingt dabei fast ein wenig wie ein heutiger Staatsverweigerer, Reichsbürger oder ähnlich Verirrter. Doch im Unterschied zu diesen hat der Schuster bereits mit tödlicher Konsequenz am Leib seiner eigenen Familie erlebt, wie Vertreter einer – wohlgemerkt autoritären und undemokratischen – Staatlichkeit sowie eine entsprechend sozialisierte Gesellschaft mit Minderheiten umgehen.
Allzu lange kann der Kraus, hervorragend gespielt vom österreichischen Kabarettisten und Schauspieler Josef Hader, das mit dem Sich-Raushalten ohnehin nicht durchhalten: Die Unruhe der Zeitläufte zwischen Erstem Weltkrieg und der Machtergreifung der Nationalsozialisten ist letztlich einfach stärker. Ebenso wie das Gift der politischen Debatten, die jegliches Maß verloren haben: Es verschont kaum eine zwischenmenschliche Beziehung und fällt bei durch existenzielle Not, finanzielle Sorgen, Kriegstraumata, Propaganda oder auch einfach Gier verhärteten Menschen auf empfänglichen Boden.
“Sturm kommt auf” erzählt davon, wie eine keineswegs konfliktfreie, aber funktionierende Dorfgemeinschaft zerfällt. Es geschieht an einem fiktiven Ort im Oberbayerischen, wohl nicht allzu weit von der Heimat Oskar Maria Grafs am Starnberger See – der Sozialist und Pazifist schrieb den Roman im New Yorker Exil, in das er Ende der 1930er Jahre geflohen war.
Geschildert wird das anhand der Bauernfamilie Heingeiger, bestehend aus Silvan (Sigi Zimmerschied), Tochter Elies (Verena Altenberger) und deren unehelichem Kind Peter. Zu ihrem Nachbarn Kraus, einem Zugezogenen, pflegen die drei ein freundschaftliches Verhältnis; Elies macht dem deutlich älteren Mann den Haushalt, die beiden schätzen sich, eine interessante, ungewöhnliche Beziehung. In München herrschen “die Roten” (was mit der blutigen Niederschlagung der Räterepublik wenige Monate später schon wieder vorbei sein wird).
Als Elies’ Bruder Silvan junior (Frederic Linkemann) aus dem Krieg heimkehrt und damit eine ungute Mischung aus Selbstherrlichkeit, Neid und Brutalität, verändert sich das Gefüge im Dorf. Mit Ludwig (Sebastian Bezzel), einem “Roten”, also Kommunisten, ist der jüngere Silvan schnell über Kreuz – der Kampf der politischen Ideologien hat begonnen, zwischen Äckern, Wiesen und Feldern.
Matti Geschonneck setzt das klug reduzierte Drehbuch sorgfältig und effektiv in Szene: mit herausragenden Schauspielern, einem überzeugenden, dezenten Kostüm- und Szenenbild und der Kamera von Theo Bierkens, der mit viel natürlichem Licht Bilder wie Gemälde schafft. Dazu der wunderschöne altbayerische Frauenchorgesang, der das Geschehen rahmt, wärmt und zusammenhält. Ein Heimatfilm ohne jede Heimattümelei, ein bewegendes historisches Drama, eine gelungene Literaturverfilmung und ein Schauspieler-Film – und ein auch aktuell zu verstehender Aufruf, den Anfängen von Hass und Hetze zu wehren.