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Wohlfahrtsverbände: Wahlen sind immer auch Sozialwahlen

Die Wohlfahrtsverbände im Südwesten rufen dazu auf, bei den bevorstehenden Kommunal- und Europawahlen soziale Themen stärker zu berücksichtigen. Mit der Kampagne „#IchGeheWählenWeil“ wolle man bei den Wählerinnen und Wählern das Bewusstsein für die Bedeutung sozialer Dienste stärken, sagte Marc Groß, Vorstandsvorsitzender der Liga der freien Wohlfahrtspflege in Baden-Württemberg, am Donnerstag in Stuttgart. Die Kampagne enthalte auch Faktenchecks zur Situation bedürftiger Menschen im Bundesland.

Groß warnte davor, dass grundlegende Dienste der Daseinsvorsorge in naher Zukunft nicht mehr zur Verfügung stehen könnten. Es fehle an Menschen, die die Betreuung realisieren – etwa, weil in den nächsten Jahren viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Ruhestand gehen. Außerdem müsse man für jeden einzelnen Euro der Refinanzierung „hart kämpfen“, kritisierte er.

Im Südwesten seien 16,4 Prozent der Bürger armutsgefährdet, überdies gebe es 12.600 Wohnungslose. Vor den 350 Tafel- und Kleiderläden bildeten sich lange Schlangen. Mit den 70 sozialpsychiatrischen Diensten im Land erreiche man jährlich 30.000 Menschen, sagte Groß. Er forderte eine langfristige Finanzierung dieser Arbeit und eine bessere Nutzung der Digitalisierung im Sozialbereich. Man kümmere sich im Südwesten eher um einen Chatbot für Beamte als um die technologische Unterstützung zur Berufsanerkennung von Migranten, bedauerte er.

Jochen Ziegler vom Diakonischen Werk Württemberg wies auf den präventiven Effekt sozialpsychiatrischer Dienste hin. Durch diese Arbeit könnten etwa teure Folgemaßnahmen wie Einweisungen in Kliniken reduziert werden, sagte er. Für Soziales seien insbesondere die Kreistage wichtig, die bei den Kommunalwahlen häufig zu wenig beachtet würden. Ziegler warb zudem dafür, sich im Internet über den „Sozialomat“ einen Überblick über die sozialpolitischen Vorstellungen der zur Europawahl kandidierenden Parteien zu verschaffen.

John Litau, Geschäftsführender Vorstand der Liga, sieht einen Trend in der Politik, die Migrationsberatung für Erwachsene zu schwächen. Entsprechende Stellen seien teilweise schon abgebaut oder infrage gestellt worden. Dabei steckten in der Zuwanderung „Potenziale für den Arbeitsmarkt“, betonte er. Integration sei in Baden-Württemberg eine Daueraufgabe und müsse in allen gesellschaftlichen Bereichen mitgedacht werden, etwa auch in den Schulen.

Eine Wahlempfehlung für oder gegen Parteien ist der Liga zufolge mit der Kampagne nicht verbunden. Vielmehr wolle man ein Bewusstsein dafür schaffen, dass Wahlen immer auch Sozialwahlen seien. Die Liga der freien Wohlfahrtspflege Baden-Württemberg vereint nach eigenen Angaben elf Spitzenverbände mit 10.000 Einrichtungen und Diensten, in denen 390.000 Menschen arbeiten. Sie wurde 1952 gegründet. (1110/23.05.2024)