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Wo Flüchtlinge wie Gefangene behandelt werden

Diakonie RWL-Referentin Ioanna Zacharaki war in den Osterferien auf der griechischen Insel Lesbos. Wie viele Helfer ist sie schockiert über die rigorose Abschiebung der Flüchtlinge

Im Zuge des im März abgeschlossenen EU-Pakts mit der Türkei schiebt Griechenland nun konsequent die Flüchtlinge ab. Diakonie RWL-Referentin Ioanna Zacharaki, selbst Griechin, organisiert Hilfseinsätze auf der Insel Lesbos. In den Osterferien hat sie hautnah die Folgen der neuen EU-Flüchtlingspolitik miterlebt. Mit ihr sprach Sabine Damaschke.

Mit welchen Eindrücken sind Sie wieder nach Deutschland gekommen?
In den zwei Wochen meines Hilfseinsatzes hat sich die Situation auf Lesbos Tag für Tag zugespitzt. Der Hotspot in Moria, wo die Erstaufnahme auf EU-Territorium stattfand, wurde leer geräumt. Alle neu ankommenden Flüchtlinge sind dann dort untergebracht worden. Die mit Stacheldraht gesicherte Unterkunft sieht wie ein Gefängnis aus, das die Flüchtlinge nicht mehr auf eigenen Wunsch verlassen können. Hilfsorganisationen durften nicht mehr dort hin, um Essen oder Kleidung auszuteilen. Für all die vielen Flüchtlinge gab es viel zu wenig Betten und zu wenig Essen, auch keine medizinische Hilfe.
Das ist menschenunwürdig. Dagegen haben das UNHCR-Hilfswerk und „Ärzte ohne Grenzen“ protestiert, bislang aber ohne Erfolg.

Wie haben die Flüchtlinge auf das rigide Vorgehen der Behörden reagiert?
Es gab Demonstrationen im Hotspot Moria. Von dort, so berichteten Augenzeugen, wurden Flüchtlinge in Handschellen wie Verbrecher abgeführt und mit Bussen direkt in die Fähren gefahren, damit die Bevölkerung dies nicht sieht. Trotzdem spielten sich auch vor unseren Augen verzweifelte Szenen ab. Wir sahen viele geschockte Menschen im Hafen. In den Flüchtlingsunterkünften haben sich junge Männer aus Pakistan, die vor Inkrafttreten des EU-Abkommens auf die Insel gekommen waren, weinend von ihren Helfern verabschiedet und freiwillig am Hotspot Moria gemeldet, weil sie keinen Ausweg mehr sahen. Sie werden ja auf jeden Fall abgeschoben.

• Wie sieht die griechische Bevölkerung auf Lesbos die neue EU-Flüchtlingspolitik?
Sie haben das Gefühl, dass jetzt alles auf der Insel aus den Fugen gerät. Man hat hier ja intensiv mit vielen internationalen Helfern daran gearbeitet, Unterkünfte zu schaffen und die Flüchtlinge, die hier in Schlauchbooten ankommen, zu retten. Für rund 9000 Menschen gibt es in den Unterkünften Platz, kaum jemand musste noch auf der Straße schlafen. Die Versorgung der Flüchtlinge ist sehr viel besser organisiert. Auf Lesbos, einer Insel mit 86 000 Einwohnern, wurden seit dem Herbst rund 700 000 Flüchtlinge versorgt.
Viele Griechen finden die rigorosen Abschiebungen der Flüchtlinge schlicht unmenschlich.

In der Unterkunft PIKPA, die Sie unterstützen und in die viele Spenden aus Diakonie und Kirche geflossen sind, leben vor allem kranke und behinderte Menschen. Waren sie genauso von der Abschiebung betroffen?
Wir haben rund 80 Menschen in unserer Unterkunft. Zur Zeit meines Aufenthaltes auf Lesbos wurde niemand von der Polizei abgeholt, aber alle hatten große Angst davor. Die meisten möchten nicht zurück. Sie haben so viel Geld an die Schlepper bezahlt. Sie wollen lieber auf Lesbos oder in Griechenland bleiben. Als Helfer haben wir natürlich versucht, moralischen Beistand zu leisten. Diese Abschottungspolitik der Europäischen Union ist menschenunwürdig. Und sie wird letztlich auch nicht erfolgreich sein. Die Mi­granten kommen, werden in die Türkei zurückgeschickt und versuchen es wieder. Ich bin mir sicher, dass sie andere Routen finden.

Wie geht es weiter für die vielen freiwilligen Helfer auf Lesbos? Werden sie überhaupt noch gebraucht?
Es gibt Unterkünfte, aus denen Flüchtlinge noch nicht abgeschoben wurden. Dazu gehört auch PIKPA. Die freiwilligen Helfer, die noch dort sind, verpflegen die Menschen weiterhin mit Nahrungsmitteln und trösten sie. Wir werden weiter Druck machen und darauf achten, dass es nicht zu schlimmeren Menschenrechtsverletzungen kommt.