Nachdem das Bundesverwaltungsgericht das “Compact”-Verbot ausgesetzt hat, gerät Innenministerin Nancy Faeser unter Druck. Der Fortgang des Gerichtsverfahrens wird grundlegende Bedeutung für die Pressefreiheit haben.
Nun ist eingetreten, was viele befürchtet haben: Das Bundesverwaltungsgericht hat das Verbot des rechtsextremen Magazins “Compact” vorerst und teilweise aufgehoben. “Vorerst” und “teilweise” – diese beiden Wörter sind entscheidend angesichts der Jubelposts von Herausgeber Jürgen Elsässer und seinen Fans in Sozialen Netzwerken. Dort feiern sie die Entscheidung des Verwaltungsgerichts als “Sieg”.
Was ist passiert? Mitte Juli hatte das Innenministerium das Firmengeflecht hinter dem Magazin verboten. Dafür nutzte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) das Instrument des Vereinsverbots. Damit hat die Politik die Möglichkeit, Vereine und auch Unternehmen zu verbieten, die sich gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung richten.
Dass “Compact” dies tue, dafür führte das Innenministerium in seiner Verbotsverfügung zahlreiche Belege auf. Die Zitate aus dem Magazin selbst und von Personen aus deren Umfeld, strotzten nur so vor Antisemitismus, Rassismus, Verschwörungsmythen und Umsturzfantasien, hieß es.
Nur wenige zweifeln daran, dass die Verantwortlichen den deutschen Staat in seiner jetzigen Form loswerden wollen. Insbesondere nachdem Elsässer die Entscheidung des Gerichts in einem Video auf X als “Sieg der Demokratie über die Diktatur” und Nancy Faeser als “Diktatorin” bezeichnet hat.
Auch das Bundesverwaltungsgericht hegt in seiner Entscheidung vom Mittwoch wenig Zweifel daran, dass einzelne Beiträge im Magazin und in den entsprechenden Online-Kanälen eine Verletzung der Menschenwürde darstellen.
Die Menschenwürde, Artikel eins des Grundgesetzes, darf eigentlich nicht gegen andere Artikel abgewogen werden, auch nicht gegen die Pressefreiheit. Sie ist eben “unantastbar”. Doch das Gericht zweifelt an der Verhältnismäßigkeit. Die entscheidende Frage: Könnte die Verletzung der Menschenwürde nicht mit milderen Mitteln verhindert werden als einem Komplett-Verbot der Unternehmen und damit de facto auch der ganzen Publikation?
Als mögliche mildere Mittel nennt das Gericht “presse- und medienrechtliche Maßnahmen, Veranstaltungsverbote, orts- und veranstaltungsbezogene Äußerungsverbote sowie Einschränkungen und Verbote von Versammlungen”. Mittel, die zum großen Teil aber nicht in der Hand des Innenministeriums liegen, sondern unter die Hoheit der Bundesländer fallen.
Dennoch ist für das Gericht die Verhältnismäßigkeit des Verbots so fraglich, dass es das Verbot aussetzt – vorerst und teilweise. Und das, bis es in der Hauptsacheverhandlung final entscheidet, ob “Compact” verboten werden darf.
Die Erfolgsaussichten der Klage gegen das Verbot bezeichnet das Gericht als “offen”. Es stellt fest, dass das Vereinsgesetz auf Unternehmen angewendet werden darf, die im Presse- und Medienbereich tätig sind, und dass die Verbotsverfügung formell rechtmäßig ist. Auch daran waren Zweifel geäußert worden.
Trotz dieser Feststellung gerät Faeser nach dem Urteil unter Druck. Politiker aus Regierung und Opposition kritisierten sie teilweise scharf. Die Ministerin gab sich bei einem Termin am Donnerstag in Berlin von der Kritik unbeeindruckt. In einem Rechtsstaat sei es ein “normaler Vorgang”, dass solche Entscheidungen juristisch geprüft werden. Trotz der Niederlage werde man weiter hart gegen “Verfassungsfeinde” vorgehen. Compact propagiere einen Umsturz und agitiere aggressiv gegen Jüdinnen und Juden, Menschen mit Migrationsgeschichte und gegen die parlamentarische Demokratie, warnte die Innenministerin.
Auch in Journalistenverbänden halten viele “Compact” in weiten Teilen für unappetitlich. Und dennoch begrüßen sie mehrheitlich die Entscheidung des Gerichts. Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) sieht in dem Urteil ein klares Bekenntnis zur Pressefreiheit. Der DJV-Bundesvorsitzende Mika Beuster sagte: “Ich würde es begrüßen, wenn die Bundesinnenministerin ihren berechtigten Kampf gegen den Rechtsextremismus unter Beachtung der verbrieften Grundrechte führt.”
Auch Reporter ohne Grenzen sieht ein Signal für die Pressefreiheit. Man habe schon nach Bekanntwerden der Maßnahme daraufhingewiesen, dass das Verbot rechtsstaatlich fragwürdig sei, “denn Pressefreiheit gilt auch für unbequeme und schwer erträgliche Veröffentlichungen, auch solche mit extremen Inhalten.”
Tatsächlich wird die anstehende Entscheidung und eine mögliche Einbeziehung des Bundesverfassungsgerichts einem Grundsatzurteil gleichkommen. Schon kurz nachdem das Verbot bekanntgeworden war, äußerten Fachleute Sorge über die großzügige Auslegung des Vereinsrechts, weil ein solches auch einer möglichen künftigen AfD-Regierung zur Verfügung stünde, um gegen missliebige Medienhäuser vorzugehen.
Im anstehenden Verfahren wird es nun darauf ankommen, ob das Innenministerium ausreichend belegen kann, ob die Unternehmen hinter “Compact” abseits der Publikationen verfassungsfeindliche Ziele verfolgen. Experten sehen in dem Magazin einen zentralen Knotenpunkt der rechten und rechtsextremen Szene in Deutschland. Ob das ausreichen wird, bleibt abzuwarten.
Verfahren wie die Klage von “Compact” gegen das Verbot ziehen sich meistens über Jahre. Bis zu einer endgültigen Entscheidung darf das Magazin nun vorerst weiter erscheinen. Herausgeber Elsässer rechnet mit einem reibungslosen Betrieb für “mindestens zwei oder drei Jahre”. Zumindest sobald die Redaktion ihre technischen Geräte und Wertsachen wiedererhält, die im Zuge der Hausdurchsuchungen beschlagnahmt und derzeit noch ausgewertet werden.