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„Wir haben keine Not“

Die Landessynode der EKBO will bei ihrer Tagung im ­November über Mindestgrößen für Kirchengemeinden beraten. Im Gespräch ist eine Mindestgröße von 300 Mitgliedern. Weit über die Hälfte der ­Kirchengemeinden hat aktuell weniger als 300 Mitglieder. Davon ­betroffen sind insbesondere die Gemeinden in den ländlichen ­Regionen. In Brandenburg steigt der Unmut über diese Pläne. Einige ­Kirchengemeinden wollen die Einführung verhindern.

Von Yvonne Jennerjahn (epd)

In Groß Lübbenau, einem Dorf am Rand des Spreewalds leben gut 200 Menschen. Etwa die Hälfte sind Mitglieder der Kirchengemeinde. Ein Teil des Ortes musste in den 1980er ­Jahren für den Braunkohletagebau aufgegeben werden, auch die alte Kirche musste der Kohle weichen und wurde abgerissen. Als Ersatz wurde eine neue Kirche gebaut, eingeweiht kurz vor Weihnachten 1987.

Nun könnten erneut Veränderungen auf die Kirchengemeinde zukommen. Denn die Evangelische ­Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) möchte ihre Kleinstgemeinden zu größeren Verbünden mit mindestens 300 Mitgliedern zusammenschließen. Die kleinen Gemeinden müssten Aufgaben und rechtlichen Verpflichtungen ­gerecht werden, die sie oft nicht mehr erfüllen können, heißt es. Im Frühjahr wurde bereits ein Gemeindestrukturgesetz für größere Zusammenschlüsse beschlossen. Im Herbst soll ein Gesetz zur Mindestgröße folgen. Doch Groß Lübbenau überzeugt das nicht.

Die Kirchengemeinde stehe sehr zu ihrer Identität, sagte Pfarrerin ­Ulrike Garve vom Pfarrsprengel Lübbenau und Umland: „Es ist ein gewisser eigener Stolz vorhanden.“ Die Trauer um die gesprengte Kirche sei immer noch groß, das kirchliche ­Engagement vor Ort sehr hoch. „Die Gemeinde kriegt Sachen hin, über die ich staune“, sagte die Pfarrerin.  „Zum Beispiel einen eigenen ­Besuchsdienst.“

Nicht, wenn andere mitentscheiden 

„Identität findet vor Ort in der Kirche statt“, sagt Anke Kullick, Vorsitzende des Gemeindekirchenrats von Groß Lübbenau. Sie sorgt sich, dass das ­Engagement in der ­Gemeinde in ­größeren Strukturen verloren geht, wenn zusätzliche ­Gremiensitzungen anstehen, dafür weitere Wege in Kauf ­genommen werden müssen, wenn vielleicht ­andere bei den eigenen ­Angelegenheiten, bei Geld und ­Aktivitäten mitentscheiden könnten. Es gebe GKR-Mitglieder, die sagten, sie machen dann nicht mehr mit.

„Uns darf hier nichts weggenommen werden“, sagt Anke Kullick, die als Kita-Leiterin in der Region arbeitet. „Wir wollen unsere Kräfte hier bündeln.“ Warum sollte eine funktionierende kleine Gemeinde mit ­Engagement, genug Geld, hoher Spendenbereitschaft und wenig ­bürokratischem Aufwand, die ­bereits einem größeren Pfarrsprengel angehört, zum Zusammenschluss gezwungen werden, fragt sie. „Es gibt bei uns keine Probleme.“

Auch in der Prignitz macht sich Unmut Luft. Dort drohen die ­Gemeinden Lennewitz, Legde und Quitzöbel an der Elbe mit Kirchenaustritten, sollte eine Mindestmitgliederzahl für Gemeinden beschlossen werden. „Wenn wir nicht mehr über Baupflege und Verpachtung von Land selbst entscheiden können, sind uns wesentliche Dinge genommen“, sagt Reinhard Jung, Landwirt, Geschäftsführer des Bauernbundes Brandenburg und Mitglied im ­GKR von Lennewitz. „Am Ende dürfen wir nur noch ­rasenmähen.“

„Kann man uns nicht einfach in Ruhe lassen?“ 

„Wir haben keine Not“, sagt Jung. 17 Mitglieder habe die Kirchen­gemeinde Lennewitz, die Mehrheit der 32 Dorfbewohner*innen. „Die gesamte Verwaltungsarbeit erschlagen wir mit einer Sitzung im Jahr“, sagt er. „Kann man uns nicht einfach in Ruhe lassen?“ Wenn es irgendwann nötig sei, „können wir uns doch freiwillig zusammenschließen, dann machen wir das auch“, betont Jung und vermutet, die Landeskirche wolle an das Geld und das Land der Gemeinden heran.

Der Gemeindekirchenrat von Groß Lübbenau hat Briefe an die Landessynode geschrieben. „Wir wollen nicht in immer größer werdenden Gremien und regionalen ­Zusammenschlüssen über andere Kirchen und Gemeinden mitentscheiden“, schreiben die sieben ­Ehrenamtlichen darin. Sie wollen Ausnahmen von einer Pflicht zu größeren Zusammenschlüssen, betont Anke Kullick. „Wo es funktioniert, soll es doch bitte so bleiben.“

Man wolle niemanden etwas wegnehmen

Die Landessynode der EKBO plant, dass eine Kirchengemeinde ­zukünftig mindestens aus 300 ­Gemeindegliedern bestehen soll. Diese neue Regelung soll sicherstellen, dass das kirchliche Leben vor Ort weiterhin umfassend ­organisiert werden kann. Das ­betont Präses Harald Geywitz im Interview mit Yvonne Jennerjahn (epd).

Herr Geywitz, was für konkrete Schwierigkeiten sehen Sie auf sehr kleine Gemeinden bei der Bewältigung ihrer Aufgaben zukommen?

Wir haben derzeit die Situation, dass jede Kirchengemeinde, egal wie viele Gemeindemitglieder sie hat, eine sogenannte Körperschaft des öffentlichen Rechts ist. Sehr kleine Gemeinden mit 20 Mitgliedern wie es sie beispielsweise in der Prignitz gibt, müssen sich auch um Daten- und Arbeitsschutz kümmern, ein Budget aufstellen und ab 2023 auch Umsatzsteuer zahlen. Im Hintergrund sind da sehr viele Dinge hauptamtlich zu erledigen, das bekommen gar nicht alle Gemeindeglieder mit. 

Die Körperschaft ist ein Status, der viele Verpflichtungen mit sich bringt, den viele kleine ­Gemeinden nicht mehr leisten können. Es geht jetzt darum, dass man die Verwaltung auf eine höhere Ebene ver­lagert, während das kirchliche Leben weiterhin vor Ort organisiert wird. Uns geht es darum, zu guten Strukturen für die Arbeit zu kommen, die wir vor Ort leisten wollen. Denn wir wollen Kirche für andere sein und die frohe Botschaft zu den Menschen bringen.

Haben Sie Verständnis für die Kritik kleinerer Gemeinden, für die nun ein Zusammenschluss droht?

Viel Diskussion gibt es derzeit um die Zahl 300, also ob dies die Mindestmitgliederzahl für eine Kirchengemeinde sein soll. Das ist der ­Vorschlag der Kirchenleitung und wurde auf der Landessynode schon einmal diskutiert. Wir nehmen die Kritik daran sehr ernst und haben Verständnis dafür, weil Veränderungen verunsichern können. Daher haben wir das Mindestmitglieder­gesetz auf die Herbstsynode verschoben und jetzt im Vorfeld gibt es sowohl digitale Sprechstunden mit der Pröpstin als auch Besuche vor Ort in den Gemeinden durch die ­Kirchenleitung oder auch die Superintendenten. 

Diese Gespräche werden übrigens seit rund zwei Jahren geführt mit allen Kirchenkreisen und Ältesten, die das wünschen. Und unserer Landessynode gehören mehrheitlich ehrenamtlich engagierte Menschen aus der ganzen Landeskirche an, die dann letzten Endes entscheiden. Ich bin der festen Überzeugung, wir werden um Veränderungen nicht herumkommen, diskutieren darüber schon einige Zeit und müssen nun auch einmal zum Abschluss kommen. Die Sorgen und Bedenken hören wir und natürlich fließen sie in den Beratungsprozess ein.

Wie wollen Sie die Kritiker überzeugen, sich auf größere Gemeindeformen einzulassen?

Indem wir klar sagen, dass das kirchliche Leben vor Ort nicht durch das Kirchengesetz eingeschränkt, sondern gesichert und unterstützt wird. Im Frühjahr haben wir mit dem Gemeindestrukturgesetz eine große Auswahl an möglichen Formen für die Gemeinden beschlossen. Wir möchten Beteiligung und Engagement stärken. Es ist kein radikaler Umbau, auch wenn das vor Ort ­natürlich schmerzlich sein kann, weil das Gewohnte ans Herz gewachsen ist. 

Es ist vielmehr ein Beratungs­prozess mit den engsten ­Nachbarn der heutigen Gemeinden, wie sie auch morgen den gemeinsamen Auftrag gut meistern können. Irgendwann muss man sich dann auf landes-kirchlicher Ebene auch ehrlich machen und entscheiden, welche Anzahl an Mitgliedern dann die besondere Form der Körperschaft rechtfertigt.

Was wird mit Gemeinden passieren, die größere Zusammenschlüsse ablehnen?

Das Gesetz zu den Mindestmitgliedern diskutieren wir auf der Herbstsynode 2021 und es soll dort verabschiedet werden. Im Entwurf steht klar, dass die Mindestgemeindegliederzahl jeweils zu einem Stichtag vor jeder Ältestenwahl ­erreicht werden muss. Wird das ­Kirchengesetz in dieser Form ver­abschiedet, so ist als nächster Stichtag der 31. Dezember 2021 maß­gebend. Dann wäre Zeit bis zum 

31. Dezember 2023, um miteinander im Kirchenkreis zu guten Strukturen zu kommen. Natürlich wird die Landeskirche, wenn das vor Ort gewünscht wird, diesen Prozess beratend begleiten.

Können diese Gemeinden die Landeskirche gegebenenfalls auch verlassen?

Theoretisch könnten diese ­Gemeinden die Landeskirche ver­lassen. Ich sehe dafür aber keine guten Gründe, denn wir sind sehr demokratisch organisiert und treffen legitime Entscheidungen für die Gemeinschaft der Landeskirche, in der es auch ein hohes Maß an Solidarität mit dem ländlichen Raum gibt. Außerdem verbleiben die Entscheidungen über das kirchliche Leben weiterhin vor Ort. Daher wäre ein Austritt eher nicht im Interesse der Kirchengemeinde. Deshalb setze ich weiterhin auf die Verständigung und auch darauf, dass wir eine starke ­Gemeinschaft sind, die den Gemeinden viel zu bieten hat.

Wie viele Gemeinden mit weniger als 300 Mitgliedern gibt es derzeit und wie viele davon stehen größeren Zusammenschlüssen bisher skeptisch gegenüber?

In der EKBO haben derzeit mehr als 650 Kirchengemeinden weniger als 300 Gemeindeglieder. Allerdings gibt es große Unterschiede auch innerhalb eher ländlicher Gebiete. Im Kirchenkreis Uckermark gibt es 59 Körperschaften mit 11000 Gemeindegliedern, in der Prignitz 172 Körperschaften mit 22000 Gemeindegliedern. Natürlich gibt es Skepsis, aber es haben sich in den vergangenen Jahren auch schon viele Gemeinden auf den Weg gemacht. Allein 2020 haben über 40 Gemeinden fusioniert oder die neue Form der Gesamtkirchengemeinde mit Ortskirchenräten gewählt. Ich setze darauf, dass es gemeinsam gelingen kann, unsere kirchlichen Strukturen fit für die Zukunft zu machen.

Harald Geywitz ist Präses der Landessynode der EKBO. Foto: Matthias Kauffmann/EKBO