Predigttext für den Sonntag Invokavit: Hebräer 4,14–16
14 Weil wir denn einen großen Hohenpriester haben, Jesus, den Sohn Gottes, der die Himmel durchschritten hat, so lasst uns festhalten an dem Bekenntnis. 15 Denn wir haben nicht einen Hohenpriester, der nicht könnte mit leiden mit unserer Schwachheit, sondern der versucht worden ist in allem wie wir, doch ohne Sünde. 16 Darum lasst uns hinzutreten mit Zuversicht zu dem Thron der Gnade, damit wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden zu der Zeit, wenn wir Hilfe nötig haben.
VonSibylle Sterzik
Wir haben einen Hohenpriester, sagt uns der Hebräerbrief. Sofort stellt sich das Bild ein von einem würdevollen Mann mit gestrengem Blick, hochgestelltem Hut und golddurchwirktem Gewand. Einer der Macht hat, religiöse Traditionen bewahren soll, und tief in Weisheit und Glauben wurzelt. Aber passt dieses Bild zu Jesus? Will uns der Hebräerbrief Christus so nahebringen? Nein, es ist auch nur ein Klischee. Um das Bild zu verstehen, hilft ein Blick in den Jerusalemer Tempel mit seinen vielen Vorhöfen und den Innenbereichen. Wie weit sich jemand den inneren Höfen – und das heißt Gott – nähern durfte, war genau festgelegt. Nur besonders reine Menschen durften ins Innere und ins Allerheiligste nur der Hohepriester. Einmal im Jahr zum Jom Kippur, dem Versöhnungstag. Das Allerheiligste – ein fensterloser Raum, durch einen Vorhang von den anderen Räumen abgetrennt. Darin wurde die Bundeslade mit den Tafeln der Zehn Gebote aufbewahrt. Hier, glaubte man, wohnte Gott. Der Hebräerbrief knüpft an dieses jedem Juden vertraute Bild an und verkündet: Jesus, unser Hohepriester, hat die Höfe, die Himmel durchschritten. Er hat nicht nur, wie die Hohenpriester vor ihm, das Allerheiligste im Tempel betreten, sondern ist wirklich bei Gott angekommen, hat Wohnung genommen in seinem Herzen. Nun gibt es gar nichts mehr, dass ihn und – in seiner Nachfolge – uns von Gott und seiner Liebe trennen kann. Nichts steht mehr zwischen Gott und uns, wenn Christus unser Hohepriester ist. Weiter sagt der Hebräerbrief von diesem Hohepriester, dass er mitleidet, mitfühlen kann. Er hat nicht den kalten gestrengen Blick, der nur über Regeln und Traditionen wacht. Er wohnt im Allerheiligsten, in Gottes Herzen. Das Licht, dass es erleuchtet, ist der Schein der Liebe und des Mitgefühls mit allem, was lebt. Noch mehr wird in Aussicht gestellt. Karfreitag riss der Vorhang im Tempel. Durch Jesu Tod, den er auf sich nahm, ist für uns der Zugang zum Allerheiligsten frei: Wir alle können mitkommen zu Gott. Wir sind alle Priester. Martin Luther hat das treffend formuliert: „Denn was aus der Taufe gekrochen ist, das kann sich rühmen, dass es schon zum Priester, Bischof und Papst geweihet sei.“
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