Von Claudia Rückert
Umtost vom lärmenden Verkehr und hektischen Treiben steht die St.-Paul-Kirche ganz majestätisch auf der Ecke Badstraße/Pankstraße im Gesundbrunnenviertel des Berliner Bezirks Mitte im Kirchenkreis Berlin Nord-Ost. Sie gehört neben der Elisabethkirche in Mitte, der Alten Nazarethkirche im Wedding und der Johanniskirche in Moabit zu den vier Berliner Vorstadtkirchen von Karl Friedrich Schinkel, zu deren Bau sich Friedrich Wilhelm III. Anfang der 1830er Jahre entschlossen hatte.
Industrialisierung als Motor für den Bau von Kirchen
Alle Kirchen mussten kostengünstig sein und basieren deshalb auf einem einheitlichen Konzept. St. Paul – wie die übrigen Kirchen – besaß anfänglich auch keinen Turm. Trotz eines knappen Budgets und des weitgehend einfachen Plans, das heißt eines Saalbaus auf rechteckigem Grundriss, gelang es Schinkel durch die Variationen der Details charakteristische und unverwechselbare Gebäude zu schaffen.
Schinkels Vorstadtkirchen, wie später auch die vom Kirchenbauverein errichteten Berliner Großkirchen, sind eine Reaktion auf die zunehmende Industrialisierung Berlins und den Zuzug vieler Menschen. Die gesellschaftlichen Veränderungen waren der Motor für die Erschließung neuer Stadtviertel und die neuen seelsorgerischen Angebote für ihre Bewohner.
Kirche brannte 1945 aus
Die Grundsteinlegung erfolgte am 16. Juni 1832, geweiht wurde die Paulskirche nur drei Jahre später am 12. Juli 1835. Der einschiffige Bau mit halbrunder Apsis ist inspiriert von griechischen Tempelanlagen und zeigt noch heute Giebel und korinthische Pilaster am Außenbau. Der ebenfalls klassizistisch gestaltete Innenraum brannte, nachdem die Kirche bereits 1943 stark beschädigt worden war, 1945 völlig aus.
Denkmalpflege und Gemeindekirchenrat entschieden sich 1952 gemeinsam für einen Wiederaufbau von St. Paul, dessen Außenbau anhand der alten Pläne weitgehend originalgetreu wiederhergestellt werden konnte. Für den Innenraum verzichtete man jedoch auf eine Rekonstruktion des alten Schinkel-Entwurfs und wählte stattdessen ein modernes, schlichtes Konzept. Am 22. Dezember 1957 wurde die Paulskirche wieder eingeweiht.
Trotz der erneuten Gebäudesanierung in den 1980er Jahren prägt die 1950er-Jahre-Gestaltung noch heute die Atmosphäre des Innenraums. Zur Ausstattung dieser Zeit gehört die mit getriebenem Kupferblech verkleidete Kanzel, deren Reliefs der Künstler Ludwig Gabriel Schrieber im Jahr 1952 realisierte. Neben den Kanzelreliefs stammen auch das Lesepult und die Bronzetaufe aus seiner Hand.
Die Kanzelreliefs zeigen die wichtigsten Etappen im Leben des Kirchenpatrons und Apostels Paulus. Die Szenen basieren auf der Apostelgeschichte (Kapitel 9, 1-31) und erzählen von der Bekehrung des Saulus, die im sogenannten Damaskus-Erlebnis gipfelt. „Und da er auf dem Wege war und nahe an Damaskus kam, umleuchtete ihn plötzlich ein Licht vom Himmel; und er fiel auf die Erde und hörte eine Stimme, die sprach zu ihm: Saul, Saul, was verfolgst du mich?“
Anlehnung an die Antike
Schrieber, der in den 1920er Jahren an der Kunstakademie Düsseldorf studierte, war seit 1951 als Professor für Bildhauerei an die Hochschule der Künste Berlin tätig. Später wurde er auch dessen Direktor. Die Gestaltung der Reliefs erinnert an die Darstellungen griechischer Vasenmalerei und an die Reliefkunst frühchristlicher Sarkophage. Die Anlehnung an antike Vorbilder ist wohl einerseits als Verweis auf die klassizistische Architektur Schinkels zu verstehen. Sie hängt aber womöglich auch mit seinem Aufenthalt als Soldat 1940 in Griechenland zusammen, bei dem er die griechische Antike im Original erleben konnte.
Trotz seiner Bekanntheit zu Lebzeiten – er hat unter anderem die Triumphkreuzgruppe und die Reliefs der Eingangstüren der katholischen Kirche St. Ansgar gearbeitet, die im Rahmen der Internationalen Bauausstellung im Jahr 1957 im Hansaviertel errichtet wurde – ist er heute nur noch in Fachkreisen präsent. Die Kunst Schriebers wie die seiner Zeitgenossen, etwa des Künstlers Ludwig Peter Kowalski, lohnt es durchaus, wieder entdeckt zu werden.