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Wie Tabakkonzerne Einfluss nehmen

127.000 Menschen in Deutschland sterben jedes Jahr an den Folgen des Rauchens. Doch Tabakkonzerne haben deutlich größeren Einfluss als in anderen Ländern – auf unterschiedlichen Ebenen.

Die Tabakkonzerne haben großen Einfluss in Deutschland
Die Tabakkonzerne haben großen Einfluss in DeutschlandImago / Zoonar

Die Einladung zur Podiumsdiskussion klingt unverfänglich: “Aktuelle Studie zum Einfluss ökonomischer Faktoren auf politische Einstellungen”. Mindestens ein Name der erwarteten Diskutanten dürfte vielen bekannt sein: Lars Castellucci, SPD-Bundestagsabgeordneter und stellvertretender Vorsitzender des Innenausschusses. Die diskutierte Studie befasst sich mit der Frage, aus welchen Schichten die Wähler der AfD stammen.

Doch so unverfänglich ist der Termin nach Ansicht einiger Kritiker nicht. Denn Veranstalter ist der Tabakkonzern Philip Morris, der weltweit größte privatwirtschaftliche Hersteller von Zigaretten.

Viele Kontakte zwischen Tabakkonzernen und Politik

Deutschland hat – wie 180 Länder weltweit – das globale Tabakkontrollabkommen FCTC ratifiziert, und danach ist der Staat verpflichtet, Treffen mit der Tabakindustrie auf das für den Gesetzgebungsprozess absolut Notwendige zu reduzieren. “Das absolut Notwendige wären in Deutschland öffentliche Anhörungsverfahren. Alles darüber hinaus Gehende dürfte nicht stattfinden”, kritisiert Katrin Schaller vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg mit Verweis auf die Regeln des Abkommens.

In Deutschland gebe es jedoch viele darüber hinaus gehende Kontakte zwischen Politik und Tabakkonzernen; fast nirgendwo sonst in Europa werde die Tabakindustrie so lax kontrolliert wie hierzulande. Auf der europäischen Tabakkontrollskala, herausgegeben von der Vereinigung Europäischer Krebs-Bündnisse, belegt Deutschland den viertletzten Platz.

Podiumsdiskussionen, wie sie Philip Morris veranstaltet, sind nur eine Variante. Die Kontakte der Tabaklobby reichen hoch bis ins Bundespräsidialamt. Alle zwei Jahre wird unter der Schirmherrschaft des jeweils amtierenden Bundespräsidenten ein Geschichtswettbewerb veranstaltet. Er richtet sich an Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene und wird ausgerichtet von der Körber-Stiftung. Die Stiftung ist Alleinaktionärin der Körber AG, die wiederum einer der weltgrößten Produzenten von Tabakherstellungsmaschinen ist.

Tabakkonzern Philip Morris: Fangt nicht mit dem Rauchen an!

“Die Tabakindustrie wird in Deutschland immer noch als Akteur wahrgenommen, mit dem man sich an einen Tisch setzen kann”, moniert Laura Graen von der Stabsstelle Krebsprävention beim DKFZ. Deutschland sei weit entfernt von einer Denormalisierung dieser Industrie.

Unternehmen wie Philip Morris beteuern derweil, an einer Regulierung jener Schäden interessiert zu sein, die Tabakprodukte verursachen. So erklärt der Konzern öffentlich, es sei die beste Entscheidung, erst gar nicht mit dem Rauchen anzufangen. Aber denjenigen, die nicht mit dem Rauchen aufhörten, sollten zumindest schadstoffreduzierte Alternativen zu Zigaretten angeboten werden. “Das hat ihnen wieder Türen geöffnet, die vorher fast schon verschlossen waren”, kritisiert Graen.

Auch Veranstaltungen wie der Geschichtswettbewerb trügen dazu bei, dass die Tabakindustrie das Image aufrechterhalte, ein der Gesellschaft förderliches Unternehmen zu sein, weil sie ja gute Dinge unterstütze. “Was dabei aus dem Blick gerät, ist, dass die Tabakindustrie der Gesellschaft durch den Verkauf ihrer Produkte einen großen Schaden zufügt”, mahnt Schaller.

In anderen europäischen Ländern ist der Umgang mit der Tabaklobby laut Krebsforschungszentrum deutlich restriktiver. Werbung für Tabak beispielsweise ist vielerorts vollständig verboten; Tabak darf nicht einmal öffentlich sichtbar in Supermärkten liegen. Um die Identifikation mit dem Produkt zu verringern und es weniger attraktiv erscheinen zu lassen, wurden zudem sogenannte neutrale Verpackungen eingeführt, also Verpackungen ohne Marken-Symbole und -Farben.

Raucherkneipen: Eine deutsche Ausnahme

Auch beim Thema rauchfreie Umgebung sind viele Länder strenger. Raucherkneipen etwa, wie es sie in Deutschland in den meisten Bundesländern noch gibt, sind in anderen Ländern Europas undenkbar.

Gemessen an der Kaufkraft sind Zigaretten in Deutschland außerdem billiger als anderswo. Auch sogenannten CSR-Aktivitäten wurden in manchen Ländern ein Riegel vorgeschoben. Regierungskooperationen über solche “Corporate Social Responsibility”-Aktivitäten, wie sie hierzulande zwischen Bundespräsidialamt und Körber-Stiftung existieren, sind dort nicht möglich.

Philip Morris spendet an deutsche Parteien

Dass sich Parteien von der Tabakindustrie direkt sponsern lassen, kommt indes nur noch selten vor. Philip Morris hat im vergangenen Jahr nach eigenen Angaben Gelder an Parteien in gerade vier Ländern gezahlt: Argentinien, Australien, Schweiz – wo sich das globale Operationszentrum von Philip Morris International befindet – und Deutschland. Hier haben CDU und CSU zusammen 80.000 Euro erhalten, die SPD 48.000 Euro und die FDP 32.000 Euro.

Die Tabaklobby will sich jedoch nicht nur als Partner anbieten und über gemeinsame Aktivitäten eine bessere Reputation verschaffen. Nebenbei werden auch Botschaften transportiert. “Oftmals sind diese zunächst relativ allgemein: eine offene, freiheitliche Gesellschaft, in der auch Wirtschaftsakteure möglichst frei von Regulierung handeln können sollen”, erklärt Graen. Im Kern gehe es hier jedoch um Deregulierung, an der die Tabakindustrie und andere gesundheitsschädliche Industrien interessiert seien.

Lars Castellucci will sich zu seinen Beweggründen, weshalb er sich an einer von der Tabakindustrie ausgerichteten Diskussionsrunde beteiligt, auf Nachfrage nicht äußern. Im Übrigen war er nicht der einzige Bekannte auf dem Podium. Geleitet wurde die Diskussion von Torsten Albig, Cheflobbyist von Philip Morris Deutschland. Bevor er diese Rolle einnahm, war Albig SPD-Ministerpräsident von Schleswig-Holstein.