“Willst du diese Geschichte erleben?”, fragt Omar seinen Freund Joel, als dieser vor einer großen Auslandsreise zögert. Die Szene aus der spanischen Erfolgsserie “Elite” sagt viel über den modernen Menschen: Welche Geschichten wollen wir erleben – und welche Geschichten erzählen? Welche Geschichte soll am Ende bleiben? Heute werde das Leben häufig als eine Art Kunstwerk betrachtet und entsprechend gestaltet, sagt der Kulturwissenschaftler Thomas Macho. Dies zeige sich insbesondere in den Sozialen Medien.
Und, so Macho weiter: “Jeder gute Roman besticht auch durch seinen Schluss.” Die Frage, wie Menschen sterben wollen, gehöre also dazu. Allein, diesem Thema weichen viele eher aus. “Man stellt sich nicht gerne vor, eines Tages nicht mehr da zu sein, und ein Todesfall im näheren Umkreis hinterlässt eine schmerzliche Lücke”, sagt Ruben Albers. An der Uni Siegen erforscht er am Lehrstuhl des Psychologen Marc Hassenzahl, wie digitale Technologien sowohl Sterbende als auch Hinterbliebene unterstützen können. Er rät dazu, sich diesem schwierigen Thema zu stellen: “Auch, um eines Tages nicht völlig unvorbereitet zu sein.”
Das eigene Selbst auf Social Media möglichst vorteilhaft verewigen
Schon seit den frühen 2000er Jahren, also seit der massenhaften Verbreitung des Internet, befassen sich Fachleute mit der Frage, wie sich der Umgang mit den “letzten Dingen” dadurch verändern könnte. Digitale Trauergruppen oder online gestaltete Gedenkseiten sind inzwischen gängig – bekannte Formen, die auf den digitalen Raum übertragen wurden, sagt Albers. Er findet es wichtig, darüber hinauszugehen “und sich zu fragen, was das Lebensende eigentlich für mich bedeutet”.
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Herauskommen müsse nicht nur der Wunsch, das eigene Selbst auf Social Media möglichst vorteilhaft zu verewigen, betont der Forscher. “Man kann auch zu dem Schluss kommen, dass man noch etwas verändern oder bewirken möchte im eigenen Leben.” Ein Lebenswerk, die Frage, wie man in Erinnerung bleiben möchte oder auch der Glaube an eine unsterbliche Seele – all dies fasst die Thanatologie, die Wissenschaft vom Sterben, als Hoffnung auf eine “symbolische Unsterblichkeit” zusammen.
Nutzung künstlicher Imitationen von Verstorbenen könnte bald selbstverständlich sein
Hoffnung ist für Albers das Entscheidende, auch wenn es um Technologie geht. Technologien, durch die Verstorbene weiterwirken, könnten “Trägermaterial” für Hoffnung sein – vergleichbar etwa mit einem Grabmal, das einem bestimmten Verstorbenen gewidmet ist, das zum Verweilen einlädt und dazu, sich dieser Person noch einmal nah zu fühlen. Facebook, Instagram oder Tik Tok ermöglichten beispielsweise, sein Lebenswerk über den Tod hinaus zu präsentieren oder sogar mit vordatierten Nachrichten zu ergänzen.
Mit dem Lebensende umzugehen, ist ein sehr individueller Prozess. Manche Menschen planen die eigene Bestattung, wenn sie schwer erkranken, schreiben für die Zeit “danach” Briefe an ihre Lieben oder nehmen ihnen ein Hörbuch auf. Auch die Nutzung künstlicher Imitationen von Verstorbenen könnte nach Worten der Ethikerin Jessica Heesen bald selbstverständlich sein. In den USA machten manche Angehörige davon schon Gebrauch – und erlebten dies als hilfreich bei der Bewältigung von Trauer.
Austausch mit einem Avatar, der an die verstorbene Person angelehnt ist
Albers räumt ein, dass die Vorstellung einer solchen Wiederkehr von Toten auch “gruselige” Assoziationen wecke. Guttun könne eine solche Interaktion indes dann, wenn Konflikte nie aufgelöst wurden, Dinge ungeklärt blieben: Der Austausch mit einem Avatar oder Chatbot, der an die verstorbene Person angelehnt ist, könne in solchen Fällen für ein wenig Ordnung sorgen. “Wichtig ist, eine Bandbreite an Möglichkeiten zur Unterstützung anzubieten – von Trauerschmuck bis zu Chatbots. So können die Einzelnen schauen, was wichtig ist und zu ihnen passt.”
Gespräche mit Avataren bergen laut Heesen auch Schattenseiten: Trauernde könnten in eine Endlosschleife geraten, wenn der Trauerprozess nicht weitergehe. Andererseits ist die Forschung heute davon überzeugt, dass eine gewisse Bindung an einen geliebten Verstorbenen bestehen bleibt. Der Begründer der Psychoanalyse, Sigmund Freud (1856-1939), hatte dies noch für schädlich gehalten. “Diese Ansicht haben wir heute nicht mehr”, sagte die Psychologin Mary-Frances O’Connor kürzlich der Zeitschrift “Psychologie Heute”. “Wir sprechen weiter mit diesem Menschen, fragen ihn um Rat.” Trauer hole Menschen immer wieder ein, “vielleicht für immer”. Der Wandel zeige sich darin, wie man mit diesen Gefühlen umgehe.