von Karen Miether
Hannover/Hameln. Viele Stunden kämpften Rettungskräfte und Ärzte um das Leben der Frau. Nach einem Herzinfarkt gelang es zunächst, sie wiederzubeleben. Dann brachte sie der Rettungswagen ins Krankenhaus. Ihr Mann wartete vor der Intensivstation, bis eine Schwester mit der traurigen Nachricht kam: Sie ist gestorben. Notfallseelsorger Jürgen Harms sorgte dafür, dass der Bestatter die Tote nicht gleich mitnahm, sondern zunächst wieder nach Hause und in ihr eigenes Bett brachte. So konnte sich ihr Mann verabschieden. "Es war wichtig, Normalität zu schaffen, damit sich der Mann nicht hilflos und ausgeliefert fühlte", sagt der Pastor.
Bundeskongress startet in Hannover
Von diesem Donnerstag an wollen rund 550 Mitarbeiter von Rettungsdiensten, Polizei, Feuerwehr und Notfallseelsorger bei einem Bundeskongress in Hannover darüber diskutieren, was die seelische Widerstandskraft von Menschen in belastenden Lebenslagen, die Resilienz, stärken kann. Wie der Hamelner Pastor Harms haben viele von ihnen Erfahrungen damit, was Angehörige, Unfallopfer oder die Retter brauchen, um zu besser bewältigen zu können, was eigentlich kaum auszuhalten ist.
Der von der evangelischen Landeskirche Hannovers und dem katholischen Bistum Hildesheim organisierte Kongress erörtert, wie etwa Sport, Musik oder ein Netz von Familie und Freunden helfen können. Forscher und Psychotherapeuten stellen Studien vor. Dabei geht es etwa darum, wie Resilienz gefördert werden kann und wo dabei falsche Erwartungen geweckt werden.
"Ich habe mich immer selbst im Gepäck"
Ein Rezept oder gar ein Fitnesscenter für seelische Gesundheit gebe es nämlich nicht, betont der Beauftragte für Notfallseelsorge der hannoverschen Landeskirche, Joachim Wittchen. Was zurückbleibt, wenn etwa Angehörige eine Todesnachricht erhalten oder Helfer diese Schreckensbotschaft überbringen müssen, sei ganz individuell und von der Lebenssituation abhängig. Ein Helfer sei bereits stärker belastet, wenn er gerade selbst eine nahe stehenden Menschen verloren habe oder ihn Schulden drückten. "Ich habe mich immer selbst im Gepäck."
Strategien böten keine Gewähr, vor Traumatisierung geschützt zu sein. Sie seien dennoch wichtig, ergänzt der leitende katholische Notfallseelsorger im Bistum Hildesheim, Matthias Gottschlich. "Wir können in einer Krise nicht auf etwas zurückgreifen, was wir nicht schon angelegt haben." So seien bei den professionellen Helfern Einsatznachgespräche und Supervision inzwischen zur Regel geworden.
"Den einen psychischen Schutzpanzer gibt es nicht"
Die Expertin vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe in Bonn, Jutta Helmerichs, warnt jedoch davor, allein dem Einzelnen die Verantwortung für seine psychische Gesundheit zuzuweisen. Resilienz sei auch zu einem Modebegriff geworden. "Das verstellt den Blick auf gesellschaftliche Missstände." Bei den Rettungsdiensten müssten etwa auch Vorgesetze, Einsatzleiter und äußere Rahmenbedingungen wie die Ausstattung oder Personalauswahl in den Blick genommen werden. "Den einen psychischen Schutzpanzer gibt es nicht", sagt Helmerichs. "Aber es gibt viele Schutzfaktoren, die man stärken kann." Für Einsatzkräfte gehörten dazu Rituale nach dem Einsatz, etwa dass alle zusammenkommen, das Geschehen auswerten, gemeinsam essen. Auch Menschen, die völlig unvorbereitet mit einem Unglück konfrontiert werden, brächten Ressourcen mit, die es dann zu stärken gelte, erläutert die Leiterin der Koordinierungsstelle Nachsorge, Opfer- und Angehörigenhilfe im Bundesamt, die deutsche Staatsbürger nach schweren Unglücksfällen, Terroranschlägen und Katastrophen im Ausland unterstützt.
Nähe besser als reiner Trost
Wo verborgene Kräfte liegen und wer zu Hilfe kommen kann, versucht auch Notfallseelsorger Jürgen Harms aufzuspüren, wenn er jemandem gemeinsam mit einem Polizisten eine Todesnachricht überbringen muss. Er nimmt sich dann oft viel Zeit. Ein vorschnell ausgesprochener Trost, hilft nicht, hat der 65-Jährige erfahren. "Die Menschen sind nicht ansprechbar auf Trost, nur auf Nähe." (epd)