Von Bischof Christian Stäblein
Was habe ich ihn vermisst: den Kirchentag. Das große Fest von 2017 scheint eine gefühlte Ewigkeit her zu sein, jedenfalls mehr als eine Pandemielänge. Und was davor war, erscheint einem ja bisweilen fast unwirklich, wie aus einer anderen Zeit. 2019, Dortmund – weit weg. 2021, Frankfurt – voll im Griff der Pandemie. Alles fand digital statt. Das ist auch schön, aber eben nicht Kirchentag: Glauben, sichtbar auf den Straßen, der sich einmischt, der laut ist, der Energie schenkt, der zeigt: Wir sind nicht nur Einzelne, wir sind viele.
Miteinander debattieren
Zur Entschädigung und zur Auffrischung, wie schön Kirchentag ist, gab es unter anderem gleich zwei in der ersten Jahreshälfte. Kleiner, klar, und regional. Aber nicht weniger turbulent. Ende Mai in Lenzen, ein großes Fest an der Elbe. Der Elbekirchentag hat eine starke Tradition, es ist der elfte. Für ihn verbinden sich die Kirchenkreise und Kirchengemeinden an der Elbe, also weit über die Grenzen der Landeskirchen hinweg, von Sachsen bis Hamburg.
„Grenzenlos. Elbe“ war die Losung an den Tagen in Lenzen, an denen die Köpfe, Herzen und Gedanken richtig durchgepustet werden, übertragen, aber auch real. Wind und Wetter spielten nur halb mit, aber der Kirchentag hinterlässt dennoch faszinierende Spuren: Debatten über die notwendigen Schritte, dem Klimawandel entgegenzuwirken, Debatten über das Miteinander in den so unterschiedlichen ländlichen und städtischen Gefügen unserer Kirche. Und natürlich: Tauffest in der Elbe. Wieder einmal erlebe ich die Prignitz und ihre Menschen als stark: im Aufbruch, im fröhlichen richtig neu denken.
Im Abschlussgottesdienst seufzen wir einmal kräftig miteinander, tut gut, erst recht, wenn man es dabei neu übersetzt: s e u f z – so eine ungeheuer fordernde Zeit, so eine unfassbar friedenssehnsüchtige Zeit, schütze Einer uns für Zeiten, sende Einer uns für Ziele. Seufz. Wie gut tut Kirchentag.
Dick gefülltes Programm
Der zweite dieser Art vor knapp zwei Wochen in Görlitz. Mit dick gefüllten Programmheften, der Losung „Von Wegen“, Hunderten blitzenden Bläsern, Chorfest und vollen Open-Air-Gottesdiensten auf dem Obermarkt: Lausitzkirchentag. Es ist der zweite nach 2015, damals in Cottbus. Dieses Mal ist es ein gemeinsames Unternehmen von zwei Landeskirchen, fünf Kirchenkreisen. Die Sonne lacht über Görlitz, und ich vergesse für ein paar Stunden die Zeit im Zentrum Jugend im Stadtpark, wo Klettern, Bubble-Fußball und Gott loben auf dem Programm stehen.
Bei Gott ist der Rand die Mitte
Die Lausitz ist stark, Görlitz ist herrlich und die Christinnen und Christen mittenmang, ganz sichtbar: Markt der Möglichkeiten, Rotes Sofa, Heiliges Grab, es wird gequizzt und vorgetragen, diskutiert, gesungen und gebetet. Das tut einer Region gut, die viel zu oft das Wort „abgehängt“ angehängt bekommt. Dabei sind sie hier Vorreiter in dem, was die Worte „Wandel“ oder „Transformation“ schick umschreiben. Aber man muss es fühlen und leben. Was das heißt, kann man in den drei Tagen in der Lausitz hören. „Von Wegen“ erzählt der Kirchentag und macht eine Stärke sichtbar, die die nächsten Jahre tragen möge.